Weihnachten 1944
1944, Lager 7150 Grjasowez
Und wieder hat der Herr der Zeit das Land gehüllt in Dunkelheit, damit ihr deutlicher erkennt das Licht, das uns im Herzen brennüt Denn wer nach jeder süßen Frucht auf allen breiten Wegen sucht, dem wird das Herz im bunten Reigen des Jahrs verschüttet sein und schweigen. Drum führt Er uns den Weg nach innen, damit wir selber uns gewinnen.
Adventliche Besinnung
1946, Lager 7150 Grjasowez
Laß nun die lauten Wege, entflieh der Stille nicht! Kehr heim zu dir und lege die Hände vors Gesicht. Und laß dich willig führen tief in das Herz hinein, du wirst dich nie verlieren und nie verloren sein: Denn eines Engels Hände sind Hüter dir und Hort. So gehst du deine Tage getrost und sicher fort.
Sonette unserer Zeit
1946/1947, Lager 7150 Grjasowez
Verschwunden ist die Zeit, da aus den Dingen Ideen, Gott und Götter zu uns kamen. Tot sind die Stoffe heut, jedoch sie ringen mit uns, die wir die Seele ihnen nahmen. Und nahe liegt es, daß sie uns bezwingen, weil ja mit dem, was ihnen wir entwunden haben Herz, Seele, Göttliches auch von uns gingen: Im Denken ward die Glaubenswelt begraben. Noch blähen sich in stolzem Wellenschlage des Wollens bunte Fahnen, Mast an Mast, verhüllend bangen Blick und Frage. Doch schnell ist ihrer Farben Glanz verblaßt - im Wissen, dass der Tod das Ende Trage stehn wir, von jäher Einsamkeit umfaßt.
Wir stehn von jäher Einsamkeit umfaßt und jeder sucht, wie er das Schicksal trage. Ein schwankend Spiel auf unsres Lebens Waage, so gehen unsre Jahre hin in Hast und bleiben tot wie ungelebte Zahlen, die auf vergessenen Papieren ruhn. All unser Treiben, Trachten, alles tun macht uns wie Zwiebeln hohl in hundert Schalen. Und Leben ward Berauschung - oder Leiden. Und Freiheit? Wahl nur zwischen diesen beiden gemeinen Täuschungen an Lebens statt. So bleibt uns nur die Sehnsucht, nie zu stillen sie überschlägt sich in den Überwillen und nährt den schrecklichen Bereich der Tat.
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1946
Verlassen stehst, ohn' Blumenangebinde Madonna du auf deinem Brückenpfeiler, du reckest deine Arme in den Himmel, steiler und lächelst so, als wärst du eine Blinde. Verwesung haucht das Land im Morgenwinde, die Barken, die dich grüßten, sind gestrandet, der Fluß zu deinen Füßen ist versandet - du lächelst doch - als wärst du eine Blinde. Kein Bogen schwingt sich mehr von Land zu Land, dein Pfeiler nur ragt zwischen dort und hier uns kündend, dass die Brücke einst bestand. Daß sie dereinst uns neu an drüben binde: Verheißung ist dein Lächeln - aber wir? Wir bauen ins Nichts und lächeln - Sind wir Blinde?
Dieses Gedicht schrieb der Dichter, als er 1946 das Bild einer im Krieg zerstörten Brücke sah.
* Werner Schmidt - er nannte sich nach seiner Heimkehr 1948 "Werner Jan Fährmann" - ist gegen 1953 verstorben. Seine Gedichte aus der Kriegsgefangenschaft in Vologda hat uns Herr Dr. Elmar Ullrich aus Gerbrunn zugesandt. |