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Robert Prinzing: Kriegserlebnisse (Auszug. Teil 2)
06.06.2013, 17:56

Vom Strassenbau zum Eisenbahnbau
18.6.45 - 16.4.46

Es war der 18. Juni 1945 als unsere Kp gegen 14 Uhr und nach unendlich langer Namensverlesung und Gepäckkontrolle zum Tor hinaus marschierte. Hinaus aus Lager 150 und in eine ungewisse Zukunft. Noch Beendigung des Krieges und der deutschen Kapitulation war aus Moskau der Befehl ergangen, dass auch die Offiziere bis inklusive Hauptmann zur Arbeit herangezogen werden konnten. Damit wir nicht etwa in Kohlenminen oder anderen Bergwerken eingesetzt würden, hatten wir uns zum Strassenbau gemeldet. Wir, dass war Lt. Koch, Opa genannt, Staatsanwalt aus Ludwighafen und ich. Dazu hatten wir uns eine Kp ausgesucht, zu dessen Kp - Leiter wir volles Vertrauen hatten. So marschierten wir also aus dem Tor, an der Spitze Major Weinzheimer aus Speyer, unser Kp - Führer und sein Stab. Es waren dies der Dolmetscher, Hpt Meyer, der Koch Siller-Theiss (angeblich ein :Schweizer) und der Fourier Huth. Danach folgte der erste Zug mit Hpt Glink, der zweite Zug mit Hpt Hover und endlich unser, der dritte Zug, damals noch geführt von Olt. Ländle, auch Oberförster Hugo genannt. Koch und ich gehörten der 8. ten Gruppe an, geführt von Lt Winkler aus Görlitz. In unserer Gruppe waren an Bekannten noch Karl-Heinz Weiss aus Frankfurt/0der, die Münchner Schwarz und Ortlieb sowie der Dürener Zissenich. Unsere Ausrüstung und Bekleidung war kein Ruhmesblatt für lwan. Die Hälfte von uns ohne Schuhe oder mit selbst gefertigten Sandalen, andere ohne Mantel und Jacke, fast alle ohne Mütze oder irgend eine Kopfbedeckung.

Nun war ja seit dem 31. Mai offiziell der Winter in diesen Breitengraden vorbei. Und der beginnende Sommer hatte uns schon herrlich warme Tage beschert. Leider hatte es gestern umgeschlagen, es war bewölkt, ein kalter Wind ging und Regen drohte. So waren wir dankbar für das forsche Tempo, was unsere Kp vorlegte und bald erreichten wir Grassowijetz. Der uns begleitende russische Offizier wünschte, dass wir die Stadt singend passierten. Was wir dann auch taten. Sehr zur Freude der Bevölkerung, die aus den Häuser strömten und uns ein Stück begleiteten, nicht zur Freude unserer deutscher Politruks, da unsere Lieder nicht immer stubenrein waren. Sie sprachen von Provokation. Unser Marsch ging weiter und wir freuten uns auf unsere warmen Quartiere und die wartende Küche. Trotz des langsam einsetzenden Regens und der beginnenden Dunkelheit war unsere Stimmung gut. Komisch kam es uns freilich vor, als wir endlich das Stassenbaudorf erreichten und auf eine abgelegene grosse Scheune zu marschierten, dass wir weder die vorausgeschickten Kps noch Unterkünfte vorfanden. Man tröstete uns mit der Versicherung, dass das vorbereitete Waldlager noch ein paar Kilometer entfernt wäre und es zu spät und zu dunkel wäre, noch hin zu marschieren. Wir sollten die Scheune besetzen und schlafen, aber ja kein Feuer machen. So suchten wir uns in der nach drei Seiten offenen Scheune ein Plätzchen, das halbwegs trocken und windgeschützt war. An Schlaf war natürlich nicht zu denken. Denn erstens hatten wir Hunger und zweitens fand der immer stärker einsetzende Regen überall Löcher im Dach. Endlich kroch der Morgen herauf, ein dunkler, grauer Tag begann. Es regnete jetzt so stark, dass Felder und Wege zu Schlamm wurden und wir klatschnass auf den Abmarsch warteten. Endlich gegen Mittag ging es weiter. Da wir ja keine Verpflegung mitgebracht hatten, freuten wir uns auf die heisse Suppe im Waldlager. Aber welche Enttäuschung. Vor Kälte zitternd und frierend sassen die beiden Voraus - Kps unter Laubhütten, durch die ungehindert der Regen rann. Und die Küche, sie bestand aus 3 Kesseln unter freiem Himmel. Für uns waren nicht einmal Laubhütten vorbereitet.

Erbittert und erbost wechselte manches böse Wort zwischen uns und den bereits Anwesenden. Dabei hatte uns der deutsche Lagerleiter Schumann versichert, dass er die für uns gebauten Quartiere gesehen und für gut befunden hätte. Jetzt meldete sich auch unser Hunger wieder und wir verlangten unsere Suppe. Darauf war nun aber wieder die Küche nicht vorbereitet und so dauerte es einige Zeit, bis sie fertig war. Angeblich hätten sie neu kochen müssen, aber in Wirklichkeit war dem Rest der alten Suppe genügend Wasser beigemischt worden, dass es auch für uns noch reichte. Das Resultat war eine Suppe ŕ Ia Strassenbau.

Wenn es diesmal nach demokratischen Gesichtspunkten und nach der Stimmung der Kp gegangen wäre, wir hätten handkehrum kehrt gemacht und wären zurück ins Lager marschiert. Wir waren aber Kriegsgefangene und mehrere russische Posten standen mit schussbereiter MP unserem Vorhaben entgegen. Da aber der russische Leutnant selber einsah, dass wir bei dem Wetter und ohne Schutz nicht im Walde bleiben konnten, erlaubte er die Rückkehr in die Feldscheune. Wir bepackten uns also mit Material für den Pritschenbau, die Dachausbesserung und wateten durch Schlamm und Wasser zurück zur Unterkunft. Hier bauten wir Pritschen und Tore, reparierten Dach und Wände. Da aber das Material nicht ausreichte und wir noch kalte Verpflegunq fassen mussten, gings gegen abend noch einmal in den Wald. Zurück wurden die Pritschen vervollständigt, das Essen verteilt und das Bett, pardon die aus dünnen Stämmen bestehenden Pritschen bezogen. So lagen wir also, durchnässt und leicht fiebernd, Koch und ich, als Unterlage seinen nassen Mantel, als Decke meinen, auch nicht trockneren und versuchten, durch enges Liegen den Wärmehaushalt etwas auszugleichen. Erstaunlich nur, dass wir in diesem Zustand und auf runden Knüppeln liegend schlafen konnten und anderen morgens am Feuer, das der Posten endlich erlaubt hatte, nach Trocknung unserer Sachen uns wieder völlig wohl fühlten.

Glücklicherweise besserte sich das Wetter, ab und zu wagte sich die Sonne hinter dicken Wolkenvorhängen hervor und als dann ein Lager-LKW unsere Strohsäcke brachte, war wieder alles vergessen. Nachdem die beiden anderen Kps und die Küche in benachbarte Scheunen untergebracht waren, fühlten wir uns bald wie zu Hause. Es wurde gehämmert, gefeilt, getischlert, geputzt und gewaschen wie verrrückt. Die Köche, wohl ihren schlechten Eindruck vom Vortage wieder gut machend, hatten sich alle Mühe gegeben und uns gemäss ihren Möglichkeiten ein rechtes Essen gemacht. Nach einem weiteren Ruhetag, den wir so richtig zum Faulenzen ausnutzten, waren wir bereit für die Arbeit an der Strasse. Sie begann um 21. Juni 1945. Die folgenden Wochen gestalteten sich in Bezug auf den Tagesablauf wie folgt: 5.00 Wecken, 5.30 Frühstück (Suppe), 6.15 Appell, 6.30 Abmarsch zur Baustelle, 7.00 Arbeitsbeginn, 12 - 14.00 Mittagspause, d.h. Einrücken in die Unterkunft und Mittagessen (wieder Suppe), 14 - 17.00 arbeiten, dann Feierabend. Anschliessend Abendessen mit Brot, Butter, Zucker und Kaffee. 21.00 Zapfenstreich. Die Arbeitszeit betrug also 8 Stunden, wobei wir stündlich je eine 10-Minutenpause durchgesetzt hatten. Unser Leben hätte demnach recht erträglich sein können, wenn nicht diverse Faktoren gewesen wären. Da war zunächst der politische Faktor.

Unsere Kp war auf Grund ihrer Zusammensetzung als Faschisten - Kp verschrien, d.h. keiner von uns war dem Nationalkommitee oder dem Bund deutscher Offiziere (beide Organisationen waren in Moskau gegründet und rein kommunistisch) beigetreten.

Dazu hatten wir in Major Weinzheimer einen KP-Führer, der nicht wie manche Generale sein Mäntelchen nach dem Wind drehte. So kam es bald, wie es kommen musste. Major Weinzheimer wurde abgelöst und durch einen Major Gillman ersetzt, der Dolmetscher durch den Baltendeutschen Semmel, unser Zugführer, durch den Superwiedergutmacher Hpt Hösl.

Natürlich waren wir mit diesen neuen Vorgesetzten nicht einverstanden und unzufrieden. Doch was tun? Wir waren ja rechtlos. Zwar erwies sich Hpt Hösl als sattelfest und Semmel, der Dolmetscher, beim Russen als unschlagbar. Wir hatten ihn stark in Verdacht, als Vertrauensmann des lwan in unseren Reihen zu stehen. Einzig Major Gillman erwies sich als unfähig, die Kp zu führen und mit uns Meuterern fertig zu werden. So gelang es uns noch einmal, Major Weinzheimer aus dem Lager heraus und an die Spitze unserer Kp zu bringen. Aber nicht für lange. Bald holte den beliebten Offizier der NKWD ins Lager zurück wo Kerker und monatelange Vernehmungen auf ihn warteten. Ersetzt wurde er durch den frisch aus dem Lager gekommenen Hpt Dierks. Dieser uns damals unbekannt, erwies sich in der Folge als guter Kp - Führer und guter Organisator. Immer etwas lächelnd, wenig sprechend, für uns ein Glücksfall. Er blieb an der Spitze der Kp bis zu ihrer Auflösung.

Zu diesen, die Gemüter aufwühlenden politischen und organisatorischen Faktoren kam noch der Arbeitswettbewerb. Bei Erreichen einer bestimmten Arbeitsleistung, z.B. 51 % der Norm, gab es mehr Brot. 51 % der täglichen Norm bedeuteten 50 g Brot 81 % ergaben 100 g und 101 % sogar 200 g mehr tägliches Brot. Die Norm wurde von der russischen Bauleitung festgelegt und war z.B. für Aushubarbeiten in normalem Erdreich mit 4,5 qm gleich 100 %. So begann, zunächst bei den anderen Kps, dann aber auch bei uns, die Jagd noch dem Brot. Das Thema Prozente nahm bald von unseren Gesprächen Besitz, das einzelne Gruppen sich zu einem absoluten Verbotes dieses Wortes oder Themas entschlossen. Zuwiderhandelnde wurden auf irgend eine Art bestraft. Damit war zwar ein Wort verpönt, doch die Prozentejagd ging munter weiter. Unsere Küche trug leider noch viel dazu bei, dass das Prozentebrot, wie es genannt wurde, beliebt und begehrt war und immer das Ziel unserer Arbeit blieb.

Nun wird es, glaube ich, Zeit, über unsere Arbeit und das Strassenprojekt zu berichten, ein Projekt, an dem wir nun seit Wochen arbeiteten. Wir bauten eine autobahnähnliche Nord-Süd-Verbindung, die von Archangels über Kiew nach Odessa führen sollte. Gradlinig und grosszügig wie eine Autobahn unterschied sie in Punkto Qualität sich jedoch gewaltig von einer solchen. Etwa 8-10 m breit, erhöht angelegt, mit breiten Böschungen und Kanälen an der Seite, war sie fast ganz ohne Steine gebaut. Der Lehm aus den seitlichen Gräben diente zur Aufschüttung der Fahrbahn. Reichte er nicht aus, dann wurden einfach die seitlichen Gräben verbreitert. So lange, bis das Profil der Strasse erreicht war. Wie eine solche Strasse aber die russische Regen- und Schlammperiode überstehen sollte, ist uns heute noch nicht klar.

Für uns ergaben sich eine ganze Reihe Arbeiten an einem solchen Projekt. Zunächst wurde vom Vermessungstrupp der Bauabschnitt und das Strassenprofil abgesteckt. Dann ging es ans ausschachten, Erde transportieren, Fahrbahn planieren und stampfen. Da es für den Grabenden in den meisten Fällen zu weit war, den Lehm direkt zur Fahrbahn zu werfen (trotz 7 m Würfen) wurden Tragen eingesetzt. Diese, aus zwei Holmen und einigen Brettern zusammengenagelt, wurden vom Ausschachter beladen, von 2 Träger zur Fahrbahn gebracht, dort entladen und zurück zur Beladung gebracht.

So ergab sich folgende Arbeitsteilung, zwei oder mehrere Träger bedienten einen Ausgrabenden und einen Planierer. Natürlich fielen auch noch andere Arbeiten an, die aber nicht besonders erwähnt werden müssen. Auf diese Art und Weise bauten wir bei glühender Hitze und strömenden Regen ca. 2 Km Strasse fertig und nahmen in einem Dorf trotz erbitterter Proteste des Bauerns den halben Vorgarten mit. Oder ernteten bei Durchquerung eines Kartoffelackers, die schon leicht sprossenden Erdfrüchte, schwatzten, lachten, sangen, fluchten, je nach Lust und Laune. In diese 2 Sommermonate 1945, die wir im Scheunenlager verbrachten, fallen noch 2 bemerkenswerte Ereignisse. Das eine war eine Meuterei oder Arbeitsstreik unsererseits. Ein russischer Posten, als jähzornig bekannt, hatte einen Kameraden getreten und geschlagen. Als dies bekannt wurde, legte unsere Kompanie geschlossen, und durch unser Beispiel ermuntert auch die 11 Kp unter Olt Mahr die Arbeit nieder. Nur die 10.Kp unter Lt Leukefeld arbeitete weiter. Sie wurden von uns als Streikbrecher und ähnliches beschimpft. Zwar erreichten wir nicht allzuviel. Doch die Versetzung des Postens und die Abberufung von Gillmann und des völlig unfähigen Batl. Führers Oberstlt. Hansbach wogen den saftigen Anpfiff der deutschen Lagerleitung auf. An Stelle von Hansbach kam letzten Endes Major Hermes.

Das 2. erwähnenswerte Ereignis in dieser Zeit war meine totale Verlausung. Erstmalig lernte ich die lieben Tierchen kennen. Irgendwie und wo hatten sie mich entdeckt und waren da. Mit Hilfe chemischer Mittel, und zusätzlichen Waschungen, sowie morgentlicher Wäscheuntersuchung gelang es mir, meine Gäste zu liquidieren. Oder aber, und das kann ich nicht mit Sicherheit sagen, zu einem geduldigeren Opfer zu vertreiben.

Herrliche Sommertage gingen vorüber, wir wurden braun wie die Neger und waren in guter körperlicher Verfassung. Natürlich hatte diese intensive Sonnenbestrahlung auch ihre Tücken. So musste Opa Koch immer mit Mütze arbeiten, denn seine beginnende Glatze war sehr empfindlich. Einem Koch von uns hatte die Sonne die Oberfläche der Füsse derartig verbrannt, dass sie wie rohe Würste aussahen. Ich habe nie vorher oder nachher etwas Ähnliches gesehen.

Im Übrigen entschädigte die Natur uns für manches Elend und manche Tortur. Da waren Sonnenuntergänge und Wolkenbildungen, wie sie herrlicher kein Maler mit noch so grosser Phantasie fertig bringen könnte. Würde es ihm wirklich gelingen, es würde als unglaubwürdig und Kitsch abgetan. Oder dann der nächtliche Sternenhimmel. Welche Reinheit der Atmosphäre gehört dazu, uns unsere nächtlichen Wegbegleiter so nahe zu bringen. Oder die herrlichen Nordlichter. Welche Kräfte lösten sie aus?

Es muss ca. Mitte August gewesen sein, als die Verbindung unseres Strassenabschnittes zu dem des Nachbarbatallions fertig wurde. Unser Bleiben im Scheunenlager war zu Ende und eines schönen Sonntags standen wir, beladen mit unseren Strohsäcken, Decken und anderem Gepäck angetreten zum Stellungswechsel. Während Koch und ich unser Gepäck gemeinsam an einer Stange über den Schultern trugen, hatten andere ihre Sachen zu einem riesigen Rucksack gepackt. Wieder andere trugen ihre Sachen auf selbstgefertigten Tragen. Ein ganz Erfindungsreicher war auf den Gedanken gekommen, einen Schlitten zu konstruieren. Im Schweisse seines Angesichtes zog nun unser lieber Lt. Grothaus das Gefährt durch den Staub der russischen Steppe. Es ging ihm wie dem Ritter in Uhlands - Schwäbische Kunde. So blieb er bald ein gutes Stück hinter dem Heereszug zurück. Nur war bei Grothaus nicht das kranke Rösslein schuld, sondern sein Ungetüm von Schlitten.

Und nicht die Türken attaktierten ihn, sondern die russischen Posten, die ihn zu einer schnelleren Gangart antrieben. Jedenfalls lachten wir schadenfroh, als 2 Stunden nach unserer Ankunft im neuen Dorf der unglückliche Grothaus mit den Resten seiner Habe eintraf. Unsere neue Unterkunft war die ehemalige Kirche des Dorfes. Zwar seit langem nicht mehr für religiöse Zwecke verwendet, war sie jedoch bei unserer Ankunft nicht für die Unterbringung von ca. 300 Mann vorbereitet. Es kostete noch mehrere Tage Arbeit, das Holz für die Pritschen aus dem Wald zu holen. Dann die Pritschen zu bauen, die Küche irgendwo zu installieren usw. usw. So übernachteten wir mehrere Nächte im Freien. Prächtig schlafend. Selbst die Geister der Verstorbenen, deren irdische Ruhestätte genannt Friedhof wir mit unserem Übernachtungslokal gestört hatten, liessen uns in Frieden. Nicht einmal die weisse Frau erschien uns, um ihren Schädel, der mit einem Beinknochen unmittelbar neben der Frühstückstafel lag, in Sicherheit zu bringen. Endlich, nach mehreren Tagen Arbeit, konnten wir unsere Liegestatt in der Kirche beziehen. Und weiter gings an die Arbeit. Gleich der erste Bauabschnitt war die Durchbrechung einer alten Landstrasse. Durch das jahrhundertelange Fahren auf dieser, war der Boden wie Beton und es kostete uns viel Schweiss, mit Brechstange und Pickel den Boden aufzubrechen. Das Wetter blieb noch einige Tage schön und warm, um dann Anfang September unfreundlich und kalt zu werden. Wir froren, besonders an denn nackten Füssen. Hinzu kam dann noch eine ruhrartige Epidemie, die auch mich erfasste und mich fast 2 Monate quälte. Was mich eigentlich Mitte September veranlasste, mich freiwillig zur Pflastererbrigade zu melden, weiss ich nicht mehr. Es mag eine gewisse Prozentenmüdigkeit gewesen sein oder der Wunsch nach einem Arbeitswechsel. Oder die Freundschaft mit Karl-Heinz Weiss, der bereits länger an dieser Arbeitsstelle war und sie in den schönsten Farben schilderte. Möglich auch, dass mich damals die auf die Spitze getriebene Prozentjagerei anwiderte und ich einen ruhigeren Job vorzog. Kurz und gut. Jedenfalls sass ich an einem schönen September morgens im Dorf mitten auf der Strasse und pflasterte. Es war dieses das Stück der Autobahn., das durch das Dorf führte und auf Grund der grösseren Belastung gepflastert wurde. Ich glaube, westeuropäische Pflasterer wären in Ohnmacht gefallen, wenn sie unsere Arbeit gesehen hätten. Zunächst wurden in der alten Strassendecke Abflussgräben gezogen, diese mit Gestrüpp und Sand gefüllt, darüber auf der gesamten Strassenbreite Sand gestreut, darauf kleine Feldsteine und darüber mit grösseren Feldsteinen die eigentliche Strassendecke. Lebedew, unser russischer Ingenieur, achtete sehr darauf, dass kein Stein lose sass oder etwa wackelte. Diesem Übel und der Verdeckung grösserer Hohlräume wurde mit Keilen, Sand und allen möglichen Manövern entgegen gearbeitet.

Leider liess er sich nur seiten aufs Glatteis führen und die Arbeit von mehreren Tagen war umsonst. 2. Oktober, nach sehr kaltem und regnerischem Wetter ist noch einmal der Sommer zurückgekehrt. Wir arbeiten mit blosserm Oberkörper, übrigens das letzte Mal in diesem Jahr. Schon der nächste Tag bringt Regen und leichten Schneefall und ab 6. Oktober ist der Winter endgültig da. Mit viel Schnee und Frost. Es beginnt eine schlechte Zeit für mich. Ohne Schuhe, nur mit selbstgemachten Latschen an den Füssen bin ich an die Unterkunft in der Kirche gefesselt. Selbst der Weg zum Lokus, am Tag und in der Nacht mehrfach zurückgelegt, bringt nasse, kalte Füsse und fördert das vorhandene Blasen- und Darmleiden. In dieser Zeit betätige ich mich als Koch. Nicht in der Küche. Meine Pritschennachbarn, Krispin und Schröter sind auf einem Kolchosenkommando und bringen täglich ihr Debutat an Feldfrüchten, wie Möhren, Kartoffel, Rüben oder Kapusta (Kohl) mit. Meine Aufgabe ist, für den nächsten Mittag daraus ein Essen für uns drei zu machen, meistens Pellkartoffeln.

In diese Zeit fällt noch ein Erlebnis, das irgendwie typisch für die russischen LKW - Fahrer ist. Ein Lagerauto mit Lebensmittel für uns ist ca. 3 Km vom Dorf steckengeblieben und braucht Hilfe. Also alles raus und anpacken. Auf einer Wiese, gut befahrbar, steht mitten in einem kleinen Tümpel der LKW, ein amerikanischer Studebaker. Nachdem wir ihn halb abgeladen haben, kommt ein anderer Amerikaner daher und stösst ihn behutsam aus dem Dreck, um selber anschliessend festzusitzen.

Jetzt gilt es, diesen Helfer frei zu schaufeln, was nach mehreren Stunden harter Arbeit auch gelingt. Hervorgetan bei dieser Arbeit, mir unverständlich, hat sich ein Hpt Hover, der barfuss im Eiswasser stehend, wie ein Berserker schuftete.

Endlich, ca. Mitte Oktober wurden wir erlöst. Mit 49 Kameraden, alle wie ich ohne Schuhwerk ging es durch knietiefen Schnee zur nächsten Bahnstation. Man hatte uns geraten, uns beim Einsteigen in den Personenzug zu beeilen. Denn die russischen Lok-Führer warteten nicht auf ihre Passagiere. Aber ich stand kaum auf dem Trittbrett des sehr pünktlichen Zuges, als dieser wieder anfuhr. Ohne Rücksicht auf die noch wartenden Russen und Deutschen. Tatsächlich sind mit diesem Zug auch 4 von uns nicht mitgekommen. An einem Haltepunkt, wenige Kilometer ausserhalb Grassowijetz verliessen wir die Wärme des Zuges und hinaus gings, querfeldein zum Lager. Aufatmend begrüssten wir schon vom weitem das grosse, weisse Gebäude, das ehemalige Kloster. Glücklich durchschritten wir zum Teil völlig barfuss das Tor und vertauschten die kalte Schneelandschaft mit der feuchten Wärme des Steingebäudes. Kaum angekonmen, durstig wie ich war, trank ich das eiskalte Wasser des Lagerbaches. Und welch ein Wunder. 2 Monate hatte ich ständig unter Durchfall gelitten, um hier in wenigen Stunden geheilt zu sein. Ich führe diese Wunderheilung auf das radiumhaltige Wasser der Klosterquelle zurück. Wahrscheinlich hatte dieses Wasser Jahrhunderte lang dem Kloster zu seinem Ruf als Wallfahrts- und Heilquellenort verholfen. Nach einer ganz kurzen Quarantäne, die mit baden, entlausen und dem Empfang von sauberer Unterwäsche abschloss, fand ich wieder einen Pritschenplatz im Haus 12, dem grossen Haus mit seinen meterdicken Mauern.

Wer jemals einen solchen Massenbetrieb mitgemacht hat, weiss, was ein guter Pritschenplatz wert ist. Und dieser Platz war wirklich gut. Ich verlebte jetzt 2 ruhige Monate ohne besondere Aufregungen. Es sei denn, dass man den damaligen Hauptarbeitsdienst, das Kartoffelschälen dazu zählen will. Die verfügbaren Kartoffeln, diese kostbaren Früchte, waren natürlich wieder nicht rechtzeitig geerntet worden. Sie waren bei Frost und Schnee mit Brecheisen und Pickel aus der Erde geholt worden und sahen entsprechend aus. Berge von ihnen lagen im Schnee vor den Toren und weitere Tonnen von ihnen im grossen Speisesaal auf dem Fussboden. Spezielle Kommandos sortierten hier die völlig verfaulten von den nur halb verfaulten und noch geniessbaren aus. Unsere Aufgabe bestand dann darin, die Eisklumpen zu schälen. Das war wahrlich nicht angenehm und erst die später bereitgestellten Schüsseln zum Auftauen der Finger machte diese Arbeit etwas erträglich. In dieser Zeit war auch das schon früher beschriebene Lebensmittel fahren meine Aufgabe. Nicht gerade angenehm bei Schnee, Frost und Glatteis auf dem steilen Weg zur Küche. Aber immer entschädigte uns nach der Rückkehr die warme Pritsche. Und die Decke bis an das Kinn gezogen, eine Zigarette schmauchend, war die Quälerei bald vergessen. Übrigens war Anfang November 1945 ein grosser Tag für mich.

Erstmalig seit Beginn der Gefangenschaft erhielt ich Schuhe, und was für welche. Filzstiefel, aus einem Stück gearbeitet und wunderbar passend. Wärme gebend auch bei der grössten Kälte. Ich war wieder ein Mensch. Natürlich hatte dieser Stiefelbesitz auch Nachteile. Da vor allem grosse Nummern fehlten, der Russe hat im Durchschnitt kleinere Füsse, waren eine Reihe von Kameraden ohne Winter - Fussbekleidung geblieben. Deshalb mussten wir, die wir für den Winter gerüstet waren, entsprechend öfter zum Arbeitsdienst antreten. Der Winter hatte Mitte November mit Gewalt eingesetzt, ein Schneesturm folgte dem anderen. Doch die Strasse zum Holzplatz., aber auch zu den Verpflegungslagern in Grassowijetz musste frei gehalten werden. So zogen wir denn Tag für Tag hinaus, und befreiten die Strassen vom Schnee. So türmten sich bald links und rechts der Fahrbahn hohe Schneemauern auf. Mit dem Vorteil, uns Windschutz zu geben, mit dem Nachteil, beim nächsten Schneesturm die Fahrbahn noch höher verweht vorzufinden. Verwehungen bis 2 m waren keine Seltenheit und stets mussten wir bis auf den festgefrorenen Untergrund den Schnee abtragen, da sonst die schwer beladenen LKWs hoffnungslos festsitzen würden. Gefahrlos war diese Arbeit für uns gerade nicht. Nicht etwa, dass Schneeberge oder Kälte uns bedroht hätten. Es war viel mehr die Bevölkerung, vor der wir uns hüten mussten. Ein Beispiel: Die Strasse, an der wir den ganzen Sommer gearbeitet hatten, führte in dieser Gegend durch sumpfige Mulden. Zwecks Eliminierung dieses Mankos hatte der Russe nun im Umkreis von sicher 100 km die Bevölkerung mobilisiert. So kamen aus allen Himmelsrichtungen Männer und Frauen auf Schlittengespannen. Irgendwo hatten sie Sand geladen und schütteten ihn in den Mulden auf den metertiefen Schnee. Sei es nun, dass diese Fahrer wütend waren, bei der Kälte Sand zu fahren, statt warm auf der Ofenbank zu sitzen oder waren sie nur besoffen oder nur verhetzt. Jedenfalls entriss im Vorbeifahren an einer Gefangenenkolonne ein Fahrer einem Kameraden den Spaten und schlug mit diesem 3 Mann nieder. Einen davon schwer verletzend. In Zukunft waren wir auf der Hut, warnten uns gegenseitig und hätten bei einer Wiederholunq. trotz russischen Posten dem Übeitäter eine Abreibung erteilt. Anfang Dezember war ich dieser Arbeit überdrüssig und meldete mich freiwillig zu einem kleinen Kommando. Wie bekannt gegeben wurde, sollte noch in diesem Winter für die Strasse eine 180 m breite Schneise durch den Wald geschlagen werden. Nun wurden für die zahlreichen Holzfäller - KPs weitere Arbeitskräfte gesucht. Um nun nicht wieder in einem Massenbetrieb zu landen, meldete ich mich zu einem Quartierkommando. Dieses, etwa 30 Mann stark, hatte Unterkünfte in den Häuser eines Dorfes zu bauen. Es klappte alles tadellos. So fuhren wir denn am 20. Dez. 1945, etwa 30 Gefangene, 1 russischer Sergeant und 2 ungarische Hilfsposten, auf offenem LKW durch das Lagertor und hinaus in eine herrliche Winterlandschaft. Aber o weh, nach 2 km war die Herrlichkeit vorbei und der Wagen blieb in einer Schneeverwehung stecken. Da alles Schieben nichts nützte, ging es zu Fuss weiter. 2-3 Mann blieben beim Auto und der Verpflegung und wir anderen stapften durch den tiefen Schnee unserm Ziel entgegen. Gegen Abend kamen wir zu unserem Dorf, aber wo waren die auszubauenden Häuser, wo sollten wir schlafen? Der Sergeant ging von Haus zu Haus fragen, aber niemand wusste Bescheid. Was tun? Als unbewohnt waren uns 2 Hütten gezeigt worden, die wir nun aufsuchten. Bei der kleineren und scheinbar einigermassen dichten, brachen wir einfach die Türe auf und drängten uns zu 30 Mann in den einzigen kleinen Raum. Rasch war ein Feuer angezündet, ein Eimer Kaffee gekocht. Und so, von innen und aussen aufgewärmt kroch ich in meiner Ecke in den geleerten Strohsack, Mantel unter, Decke über mir und schlief prächtig in den neuen Tag hinein. Ausgeschlafen musste ich über die müden Gesichter einiger Kameraden lachen, die sich nicht auf den nassen Boden hatten hinlegen woIlen. In der Frühe kam dann der Wagen mit der Verpflegung an und nach einem reichlichen Frühstück und Empfang der Werkzeuge konnte die Arbeit beginnen. Zunächst der Ausbau unserer Pritschen. Leider war aber mit dem besten Willen in unserer Hütte am Abend nur Platz für 20 Mann geschaffen und 10 durch das Los bestimmte Kameraden mussten ausziehen, teils in Privatquartiere, teils in einem Nachbardorf in ein ebenfalls leerstehendes Haus. Beim Auslosen hatte ich wieder einmal Glück. Einerseits konnte ich bleiben, andererseits erhielt ich eine Pritsche im 1.Stock mit Fenstersicht. Die Tage vergingen. Ich gehörte mit den 3 zu unserem Kommando gehörenden Majoren und noch einigen anderen Kameraden zu einem Waldkommando. Unsere Aufgabe war das Fällen und Stapeln der Bäume, die durch ein Pferdegespann ins Dorf transportiert wurden und dort von den anderen zum Bau der Pritschen verwendet wurden und damit die Quartiere vorbereiteten. Dank dieser Arbeitsweise war eine Überwachung von uns nicht möglich und wir bewegten uns im Wald so frei wie zu Hause. Der Wald und speziell der russische Urwald ist im Winter so schön, dass bei erträglicher Kälte ein Holzkommando wirklich herrlich ist. Wenn wir morgens gegen 9 Uhr zur Arbeitsstelle kamen, war das erste, ein riesiges Feuer anzuzünden. Um das hockten wir dann in den langen Pausen und abwechselnd auch während der Arbeit am Feuer, dies und das debattierend, aber im Grund das Feuer anbetend. Stundenlang kann man an einem Feuer sitzen, in die Flamme starren und die Gedanken kreisen lassen. Seit damals kann ich verstehen, warum Menschen dem Feuer verfallen und im Bestreben, es anzubeten, zum Verbrecher werden. (Beiliegend eine Skizze unsere Unterkunft Weihnachten 1945.)

Die Tage vergingen. Der heilige Abend nahte. Wir sahen schwarz. Verpflegung hatten wir nur bis zum 24., für den 25. hatten wir nichts mehr zum Essen. Es war bisher üblich, dass Aussenkommandos sich ihre Verpflegung für 5 - 10 Tage selber im Hauptlager holten. Bei uns war nun in dieser Hinsicht nichts passiert. Unser russische Posten, der kleine tartarische Sergeant, ständig auf der Jagd nach den weiblichen Dorfbewohner, hatte grundsätzlich jede Fahrt ins Lager dem Kommandoführer und seinem Dolmetscher untersagt. Mit der Begründung, die Verpflegung würde gebracht. Da eben dieses bisher nicht üblich war und wir gegen dieses Verbot nichts machen konnten, blieb nur zu resignieren und uns auf ein paar Hungertage einzustellen. So zogen wir denn am Heiligabend ziemlich früh die Decke über den Kopf und suchten den Schlaf. Wie lange ich so gelegen hatte, kann ich nicht mehr sagen. Jedenfalls wurde ich wach durch Stimmen vor dem Haus. Bald auch Bewegung im Raum. Die Tür ging auf, und da stand er, der Weihnachtsmann. Über und über beschneit, sogar einen Bart hatte er. Erst bei näherem Zusehen erkannten wir einen Oberst aus dem Lager. Aber es war doch der Weihnachtsmann. Denn er brachte auf mehreren Schlitten viele Geschenke mit. Da war Verpflegung für die nächsten 10 Tage, der Weihnachtsstollen für dessen Zutaten wir seit Anfang November gespart hatten und endlich ein kleines Paket, das er unter seinem bis zum Boden reichenden Pelz getragen hatte. Gespannt beobachteten wir das Aufmachen des Päckchens. Neugierig wie Kinder. Der Inhalt waren Karten, die ersten Postkarten, das schönste Weihnachtsgeschenk für uns alle. Die ersten Karten, die erste Verbindung zur Heimat. Welch eine feierliche Stille am ersten Weihnachtstag, als wir die Karten austeilten, mit welcher Geduld warteten wir, bis der einzige vorhandene Federhalter zu uns kam. Und mit wieviel Hoffnung wurde diese Karte nach Rückkehr ins Lager in den Briefkasten qesteckt. Nachdem wir am ersten Feiertag nicht gearbeitet hatten, musste dieses am 2. nachgeholt werden, sei es auch nur, um Feuerholz für den Ofen und die Küche zu haben. Bereits an den Vortagen war es kalt gewesen, aber gegen Neujahr war die Kälte unheimlich schlimmer geworden. Man sah es bereits frühmorgens am Vorhang, den wir vor unsere, nicht ganz dichte Türe gehängt hatten. Er war steif gefroren. Auf das Schlimmste gefasst, band ich mir vor dem Hinaustreten einen Nasenschutz um. Das war ein Fetzen Tuch, schalähnlich, lose um die untere Gesichtshälfte gebunden. Nur die Augen schauten aus dieser Vermummung hervor. So ausgerüstet traten wir 8 unseren Waldspaziergang an. Brrr, was wehte ein eisiger Nordost, der Himmel leicht bedeckt, seine graublaue Farbe zeigte grosse Kälte an. Mein Nachbar, nicht so eingehüllt wie ich, rieb sich zum X-ten mal die weiss gewordene Nase. Ich merkte nur, wie der für die Augen freigelassene Schlitz immer enger wurde. Mein Atem gefror und bildete Eiszapfen an Augenwimpern und von der Fellmütze zum Gesichtsschutz. An unserer Arbeitsstelle angekommen, war das erste wieder ein mächtiges Feuer. Aber gegen diese Kälte kam es nicht an. Keine 2 m weit vermochten die Wärmestrahlen zu wirken und so waren wir froh, als nach den ersten Axtschlägen sämtliche Stiele unmittelbar am Eisen abbrachen. Wie dürres Holz, und damit war ein Grund vorhanden, vorzeitig nach Hause zu gehen. In der Wärme unserer Stube stellten wir dann tiefschürfende Betrachtungen über physikalische Probleme, wie Kälte, absoluter Nullpunkt, Polartemperaturen usw. usf. an. Wie später bekannt wurde, sind an diesem Tag - 56 Grad gemessen worden, übrigens die tiefste Temperatur überhaupt, die ich in Gefangenschaft erlebte. So schnell, wie die Kältewelle gekommen war, war sie auch wieder vorbei. Der Wind wechselte und für die weiteren Tage des Kommandos hatten wir nur mit -10 bis -20 Grad zu rechnen. Für uns ein humane Temperatur. Von den restlichen Tagen ist nicht mehr viel zu berichten. Sie verliefen ereignislos und am 7.Januar 1946 kehrten wir frisch und munter in das Lager zurück. Dort herrschte grosse Aufregung. Schon vor dem Tor kamen uns die ersten Gefangenen mit kahlgeschorenem Schädel entgegen. Sie warnten uns, dass Fleckfieber ausgebrochen sei und wir alle unsere Haare lassen müssten. Aber was sollten wir tun? Rein mussten wir ja. Zunächst ging es für 24 Stunden in Quarantäne, wo wir auch näheres erfuhren. In den letzten Dezembertagen war in Baracke 6 das Fleckfieber ausgebrochen. 2 Mann waren ins Lazarett eingeliefert und darauf hin hatte der Russe diese Baracke mit Stacheldraht umgeben und ein absolutes Besuchsverbot erlassen Das Essen wurde durch den Stacheldraht gereicht. Da aber bekanntlich Fleckfieber durch Läuse übertragen wird, ging es allen an die Haare. Diesmal zu unserer grossen Freude auch dem Lageradel. Nächtlicherweise wurden die einzelnen Kompanien barackenweise zum Entlausen und zur Schur geführt. Dies solange, bis jedermann absolut läusefrei war. Danach begann eine riesige Chlorkalkaktion mit Wanzenvernichtunq im Gefolge und ebenfalls unausbleiblich mit der Vergeltunqsaktion der überlebenden Wanzen in den nächsten Nächten. Nun war, als wir ins Lager einzogen, dieser Reinlichkeitsrummel etwas abgeflaut, besonders, da es keine weiteren Epidemiefälle gegeben hatte. So gelang uns mit viel Tabak die Bestechung der Friseure. Zwar Achsel -und Schamhaare mussten dran glauben. Aber auf dem Kopf blieb der sogenannte Kommisschnitt, nämlich Streichholzlänge erhalten. Und stolz fühlten wir uns in der nahen Zukunft über die Kahlschädel erhaben. Nach Bad und Entlausung zog ich mit meinen Habseligkeiten wieder in den Raum des Klosters ein, den ich vor rund 3 Wochen verlassen hatte. Leider war mein schöner Eckplatz belegt und ich fand Unterschlupf auf einer dunklen Pritsche in einer finsteren Ecke. Tagsüber ging es nun zum Schneeräumen zu einem neuen Holzplatz Richtung Westen, dessen Zufahrtswege stark verweht waren. Schneewände von 2 m waren keine Seltenheit Und bei diesem Arbeitsdienst erfror ich mir Mitte Januar nochmals einen Zeh. Das kam so. Es war bereits seit Tagen bitter kalt gewesen. Wir rückten beim ersten Frühlicht zur Arbeitsstelle aus. Die letzten Sterne verblichen. Die Temperaturen hatten in den letzten Tagen zwischen -20 und -30 Grad geschwankt. Da bekanntlich bei Sonnenaufgang die Kälte nochmals anzieht, hatten wir wahrscheinlich ca. -35 Grad. Durch die Arbeit mehr oder weniger an einem Ort gebunden, waren die Füsse bald Eiszapfen, gefühllos. Dies besonders, da die vom Vortage noch nassen Filzstiefel keinen rechten Schutz boten. Es wurde mir schliesslich so ungemütlich an meinen Füssen, dass ich meinen Spaten stehen liess und an der Reihe der mehr oder weniger arbeitenden Kameraden vorbei ins nächste Dorf lief. Dort wusste ich eine geheizte Scheune. Unter den dort noch auf dem warmen Ofen sitzenden Kameraden traf ich auf meinen früheren Kommandeur, Major Linke. Rasch in der Wärme die Stiefel ausgezogen und die steif und angefrorenen Fusslappen zum Trocknen ausgelegt. In meine Füsse kam nun wieder Gefühl, aber was für eins. Sie brannten wie Feuer und schwollen ganz schön an. Mit Mühe gelang es mir nachher, die Füsse, aber ohne Fusslappen in die inzwischen etwas trockeneren :Stiefel zu stecken. Humpelnd kam ich in der Unterkunft an und noch in derselben Nacht wuchs auf meiner grossen Zehe eine riesige Blase. Da ich aber bereits Erfahrung mit solchen Dingern hatte und vor allem keinen Arzt dranliess. war bei entsprechender Schonung nach einer Woche von ihr nichts mehr zu sehen. Und das geheimnisvolle Frostschutzmittel? Es bestand in der Nichtbehandlung und Nichtbeachtung. Einzig 2 Tage nicht zur Arbeit raus und Vermeidunq von Wundlaufen durch entsprechende Mullbinden und Fusslappen. Ende Januar zog ich mit mehreren Kameraden aus diesem finsteren ungemütlichen Quartier in die Baracke 4, diejenige, wo ich die ersten Wochen der Gefangenschaft und Quarantäne verbracht hatte. Hier feierte ich am 28. Februar im Kreise alter Kameraden meinen Geburtstag, hier erlebte ich eine grossartige Karnevalsveranstaltung unserer Kulturqruppe. Hier in diesen verhältnismässig ruhigen Wochen erwarb ich mir mittels Tabak etwas Papier, Federhalter und Tinte und stellte mir aus dem Kopf eine Formelsammlung her, die sowohl Festiqkeitslehre, Mechanik und Elektrotechnik umfasste. Andere Kameraden bastelten oder lernten Sprachen. Ich erinnere mich an einen Offizier, der nur aus Streichhölzern eine gutgehende Pendeluhr baute. Als der lwan diese Uhr zum ersten Mal sah, war sein Kommentar: "Ihr Deutschen baut auch noch aus Scheisse Kanonen". In diese Zeit fiel auch die Aufstellung eines Eisenbahn -Baubatallion, das im Sommer vom Lager aus ausrücken sollte. Selbverständlich landete ich wieder dabei, diesmal bei der 11 Kp. Diese wurde dann Anfang März mit der 10 Kp zusammen in der Baracke untergebracht, wo ich den Winter 44/45 auf der Pritsche liegend zugebracht hatte. Jetzt eroberte ich mir wieder einen der begehrten Ofenplätze im Obergeschoss, hell und luftig, aber warm. Mein Nachbar, Karl-Heinz Weiss, verleitete mich, neben Mathematik noch Spanisch zu lernen. Doch war dies nur von kurzer Dauer. Nachdem die 10.Kp bereits Mitte März zum Arbeitseinsatz ausgerückt war, schlug unser Stündlein am 16. April. Doch bevor wir zum letzten Mal das grosse Tor des Lagers passieren sollten, wurden die ersten Antwortkarten aus der Heimat verteilt. Ich hatte zwar keine Post, freute mich jedoch mit meinem Nachbar über die gute Nachricht. Dann, unter dem üblichen Zeremoniell verliessen wir das Lager, um angeblich nach 2 Monaten Eisenbahnbau wieder dorthin zurückzukehren. In Wirklichkeit, um es nie wieder zu sehen. An der Wegbiegung an der man zum letzten Mal das grosse weisse Haus sehen konnte, drehte ich mich nicht um. Nur nicht zurückdenken an die traurigen Zeiten im Lager 150, das Neue kann nur besser sein.



Eisenbahnbau
16.4.1946 - 31.12.1946

16.4.46

15.00 Uhr def. Auszug aus Lager 150. 1. Postverteilung. (Weiss) Fahrt mit Zug nach Wologda, 2 Std Aufenthalt, weiter nach Nikolskogo (Scheksna)

17.4.46

Ankunft im Lager 158/7. Einrichten, unser Zug kommt in Korridor.

18.4.46

Erster Arbeitstag. Sandzug abladen vor Betonbrücke. Essensfolge: Morgens 300g Brot, Mittags Suppe auf Baustelle, Abends Suppe, 350g Brot Butter??, Zucker, Tabak.

19.4 - 1.5.46

Arbeit: Sandzüge abladen, Sand verteilen, Schienen heben. Russ. Vorgesetzte: Smirnow (Säufer), Iwan Iwanowitsch (Giftzwerg), Mischka. Mein Spitznahme: Schienenblick (Wegen Schienen ausrichten) Lagerarbeiten für 1.Mai. Nachts baden, Kinderlager.

1.5.46

Arbeitsfrei, gute Arbeiter werden gelobt, Internationale, Reden von Gordon (rote Nelke) und Liebelt.

2.5 - 14.6.46

Arbeiten von Betonbrücke zur neuen Brücke. 17.5 Schneesturm, im Sturm kalte Bohnensuppe auf neuer Brücke. Richter und Weiher abgelöst, zu anständig. Ersatz Koppatsch und Rapp. Stabsoffiziere zurück ins Lager 150, endgültiger Abschied von Major Linke. Sandzüge auch nachts abladen, kein Sonntag mehr, Verpflegung gut, da kein Kapusta (Kohl) mehr dafür Bohnen, Mais, Trockenei. 3 Off. werden bei Arbeiten nach Feierabend im Russenmagazin beim Einstecken von etwas Mehl entdeckt. Krispin, Von Selve und ??, Strafkompanie, Schwerstarbeit. Schmöl klaut Eipulver. Schauprozess. Magsaam wird nach Lungenentzündung Küchenkontr. Off. Anfang Juni Hitzeperiode, Arbeit: Steine schlagen und tragen.

14.6.46

Geburtstag von Karl - Heinz Weiss. Überreiche Geburtstagswünsche.

15.6. - Anf. August 46

Schienenheben auf Gesamtstrecke, bin Spezialist im Schienen-richten. Ablösung von Hanak (Schornbaum) Zusammenstösse mit Smotrow (Lygia, die Streckenhure) Streit mit Weiss, Versöhnung. Abschiebung von Weiss, Happ und anderen nach Lager 158/1. Steine sammeln bei Kinderlager. Smirnow gibt Zigarette. Steine sammeln an Scheksna (30km NO Nikolskogo) Kuh klaut beim Baden mein Handtuch. Platzregen. Abends nach Feierabend Holz holen (stehlen) Trockenkartoffel - Periode.

10.8. - 20.9.46

Postempfang, Salzschiff entladen. Beginn der Arbeiten in kleiner Schlucht. Schlucht wandert, Lehmschicht rutscht auf Tonschicht und bedroht Bahnlinie. Zunächst Waggons beladen mit dem Lehm, Später und wirksamer wegbefördern der Erde mit Tragen. Wasserader. Russische Zivilisten helfen uns. Ludowinoff. In einem Zug deutsche Frauen und Mädchen.

21.9 - 1.10.46

Kolchoseneinsatz auf Kolchose 17, Hungerkolchose. Bewacher: Rucksack. Teilnehmer: Dr. Franz, Wiesemann, Dörr, Kartoffelernte, Magermilch.

2.10 - 10.10.46

Anschluss der Gleise, erster Zug fährt die neue Strecke.

11.10 - 14.12.46

Am 15.10 Verpflegungskürzung, rückwirkend auf 1.10. Abzüge, Hunger, Brot 400g + 60 - 100g Brigadenbrot. Koppatsch hebt Stimmung durch Scherze mit "Matschauge, Schliefohr, Sarotti" (Spitznamen f. Wachpersonal). Ende Oktober kalt, regnerisch. Beete bauen, Frost, Bahnbau zu Ende. Steinearbeit. Anfang November Ausgabe von Winterbekleidung, ein Tag regnerisch, Verbot, Pelze und Filzstiefel zu tragen. Darmerkältung, 1. Durchfall. Steine schlagen für neue Brücke (Schotter). Pflastern, da keine Spezialisten, in Zukunft nur Hilfsarbeiten für 10. Kp. Keine Prozente. 15.11 Untersuchung: Arbeitsgruppe 2. Steine (Findlinge) schlagen an neuer Brücke bei -22 bis -30 Grad. Feueranbeter, Kampf um Feuer- und Wärmepausen. Stimmung schlecht, weitere Durchfälle. Verpflegung schlecht, Einsparungen für Weihnachten. Zusammenbrüche. Holzdiebstähle, Steine sammeln und tragen. Kann nicht mehr, Selbstmordgedanken. Gegenseitige Rippenstösse von Fritz Jäger und mir. Magsaam schwere Herzanfälle, Zusammenstoss mit Koppatsch.

15.12.46

Arbeitsgruppe 3/6 zum Kinderlager. Als Spezialist ein Tag zeichnen, nachher wieder Erdarbeiten.

16.12 - 23.12.46

Arbeitsgruppe 3 + 4 mit Jäger zum Kinderlager, Zusammenbruch von ihm in einer Kirche, Heimschleppen durch Schneesturm (Wolfsgeheul). Durchfall, krankgeschrieben bis über Weihnachten, Lagerarbeiten, endlich etwas Ruhe.

24.12.46

Arbeit bis 14.00 Uhr, anschliessend Weihnachtsfeier. Christstollen 600g 1Kg Schwarzbrot, 1 l Bratkartoffel, gedünstetes Kraut, Klopse. Bin mit Nachschlag an der Reihe.

25.12.46

Süsse Nudeln, bekommen mir nicht, Blähungen, gebrochen, Durchfall.

26.12.46

Kartoffelbrei mit Gulasch

27.12.46

Sojabrei, Durchfall beseitigt, gegen 22.00 Abfahrt nach Lager 158/1

Kategorie: Erinnerungen von Kriegsgefangenen | Hinzugefügt von: Anatoli
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