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Robert Prinzing: Kriegserlebnisse (Auszug. Teil 1)
06.06.2013, 18:01

Einleitung

Nach dem Tod meines Vaters Robert Prinzing am 22. September 2000 habe ich viel Zeit für die Zusammenstellung seiner Lebenserinnerungen eingesetzt. Diese intensive Arbeit veranlasst mich auch, Russisch zu lernen, damit ich die beschriebenen Orte in der Ukraine, Weissrussland, Polen und Russland besuchen kann.

Die Erlebnisse der Kriegsjahre sind so eindrücklich, dass die Lektüre der Erlebnisse sich lohnt. Die Kriegserlebnisse meines Vaters und mein Besuch in Auschwitz lassen nur einen Gedanken zu: nie wieder.

Die Erinnerungen sind sehr umfangreich, deshalb habe ich einige Unterkapitel erstellt. Die Unterkapitel sind chronologisch geordnet.

Der gesamte Text wurde von meinem Vater in den letzten Jahren aufgeschrieben. Nach seinem Tod am 22. September 2000 habe ich aus den vielen einzelnen Dateien versucht, eine abgeschlossene Geschichte, der ihn so prägenden Zeit, zu bilden. Ich habe versucht, die Geschichte mit einigen Kartenausschnitten zu illustrieren. Die Zeichnungen hat mein Vater selber angefertigt. Kursiv gedruckt ist sein Kalendarium. Einzig einige Titel, zusätzlich mit Daten versehen, habe ich hinzugefügt.

Oktober 2000, Andy Prinzing
St.Gallen


Lager 150
19.7.44 - 16.4.46

19.07. - 09.08.44

Quarantäne, ca. 1000 Mann der Baracken 1 - 3. Haare scheren (überall) baden, entlausen. Haferperiode. Erhalte Drillichrock und tausche Schuhe gegen Gummistiefel (Schulz). Messer gemacht aus Nagel. Löffel getauscht. Pritschengemeinschaft (Gleichzeitig Essenempfangseinheit.) Held, Frey, Bruhin, Heynold, Timm, Krumeich, Dambach und Bastian. Olt Dambach zweifelt an meiner Zugehörigkeit als Off. Wiedersehen mit Lt Fass, der mich von Bobruisk kennt und für mich bürgt. Erste Fronarbeit: Lehmziegel tragen zum Speisesaal.

10.08. - 02.12.44

Im Speisesaal - Vorraum, Haus 12, ehemaliges Kloster, 90 Mann auf Pritschen in 3 Etagen. 40 cm Wände, alles verwanzt. Wiedersehen mit Major Linke. Befreundet mit Krumeich, Isengart (Schach), Keil. Stubenältester Joh. Kersten. Vorträge allgemeiner Art, Lt. Eggert bringt fast wörtlich Erzählungen von Karl May. Ende November erhalten wir Strohsäcke, Kopfkeile, weisse Bettlaken und Decken. Strohsackstopfen im nächsten Dorf. Arbeiten: Ziegeltragen für Neubau, Holz tragen für Küche.

03.12. - April 1945

Wieder in Baracke 4, dünn belegt, kalt. 3.12.Theo Krumeich hat Geburtstag. Geschenk: Backobststeine. (ihr Inneres schmeckt wie Mandeln). Pritschengemeinschaft: Schulze, Keller, Koch, Krumeich und ich. 16.12. beim Holzsammeln (-52 Grad) 8 Zehen 2. Grades erfroren. Theo ebenfalls. Beide krankgeschrieben. Innendienst. Weihnachten zur Verpflegung Stollen (gut) . Am 28.02. Geburtstag gefeiert. (28.02. Fleischtag, 01.03. Fischtag) 3 - faches Essen. Gemüsesuppe, Erbsen. Durchfall. In anderer Gruppe Brotdiebstahl. Fischsuppen furchtbar (Schwimmende Augen) Ostern 45 wieder Stollen und Durchfall. Am 21.03 wieder arbeiten, Holztragen vom Holzplatz.

April - Mai 45

Ende April geimpft gegen Typhus, Cholera, Fleckfieber. Starke Reaktion, hohes Fieber. Am 1. Mai ins Lazarett. Hier im Radio Fall von Berlin und nachher Kapitulation gehört. Nach Entlassung mit Erich Koch Umzug in Keller im Haus 12, Rattenloch, dunkel.

Mai - Juni 45

Nach Kriegsende müssen auch Offiziere bis zum Hauptmann arbeiten. Strassenbaukomp. werden aufgestellt. Meldung zu 12. KP. Major Weinzheimer. Umzug in Speisesaal - Vorraum. Bekanntschaft mit Karl - Heinz Weiss (Schachgegner)

18.06 - Mitte August 45

18.06 14.00 Uhr Auszug zum Strassenbau. (Nord - Süd-Verbindung) 17.00 Ankunft Baustelle, keine Vorbereitungen, kalt, Regen, Wind. Übernachtung in offener Feldscheune, wärmen uns gegenseitig. Anderentags Marsch zur Unterkunft der 10. und 11.Kp. Unterkünfte unter Wasser, Platzregen. Mittags Hirsesuppe mit viel Wasser. Holztransport und Bau der Pritschen in Scheune. Frieren, nass, Fieber. Übernachten mit Koch. 20.06 endlich Erlaubnis, Feuer zu machen. Regen hört auf. 10. und 11.Kp ziehen um in Erdbunker und Scheune. Einrichtung unserer Küche, Wetterfestmachung unserer Scheune. Strohsäcke kommen nach. 21.06 erster Arbeitstag. Aus der Erde, die seitwärts der Strasse abgegraben wird, entsteht ein ca. 7m breites Trasse (aus Lehm). 1.Bauabschnitt: 8 Std. pro Tag arbeiten, Sonntags frei. Essen gut (Fett, Heringszeit) Im Tausch ein Hering = 2 Eier. Milbe verbessert Suppe (Grünfutter-Strtegen) Waschen im Teich, erstmalig Läuse. Neue Arbeitsnormen. Zusatzsuppe (46g), Streik der 12. Kp, Ablösung von Weinzheimer, Gillmann, Hermes. 8.Gruppe: Winkler, Weiss, Koch, Pr. Schönwald, Stumpf, Loy, Düttenhöfer, Klein. Zugführer Hösel. Politruck: Schweichelt.

Mitte August - 22.10.45

Umzug zum 2. Bauabschnitt. Übernachtung auf Friedhof. Kirche wird Unterkunft. Beerensuche. Verpflegung wird schlechter. Brotschwund. Strassendurchbruch. Wetter schlecht. Vermessungstrupp mit Weiss als Pflasterer. Ruhr. Zur Kartoffelernte. Zug Hösel auf Kolchose. Koche für Krispin und Schröter. Keine Schuhe, erster Schnee, kalt.

22.10 - 20.12.45

Zurück per Bahn ins Lager, barfuss durch den Schnee. Nach massenweise trinken aus Klosterbach Durchfall weg (Radiumhaltig??) Unterkunft in Speisesaal, Filzstiefel, Holztragen und Schneeräumen. Trennung von Koch. Kartoffel sortieren (faul, Gestank) Kartoffelschälen in Küche, Eisklumpen.

21.12 - 5.1.46

Kdo Dogutbil: Quartiere für Schneisenschlag - Kp vorbereiten. Wachtposten tartarischer Sergeant. Major v.d. Sode, Armbruster, Bschörner, Henning. Gute Verpflegung. Am Heil. Abend Verpflegungsempfang, Christstollen, Postkarten. 2.Weihnachtstag -56 Grad.

6.1 - 16.4.46

Zurück zu Fuss ins Lager. Baracke 6 zwei Fleckfieberfälle. Ganzes Lager in Quarantäne, geschoren. Wir als Rückkehrer behalten Haare (Tabak) Im Januar Schneeräumung bei -30 Grad, wieder Zehe angefroren. Öfter mit Major Linke.

Februar/März Baracke 3. Pritschengemeinschaft: Hartleb, Scherer, Pr. Magsaam, Held, Schkutek, Sandfort, Hellwig. Geburtstag diesmal am 1. März. Bohnentag. Abtausch mit Schröter (2.März) Schneeräumen Richtung Grassowijetz und zum neuen Holzplatz. Anfang April Zusammenstellung der 11.Kp Eisenbahnbau unter Weiher/Richter in Baracke 4. Empfang von Lederstiefel, Holzschuhe. Abgabe der Winterpelze


Bevor ich mit der 2. Etappe meines Gefangenendaseins beginne, will ich zunächst mal unser Lager etwas beschreiben. Lager 150, später 7150, war zur damaligen Zeit ein gemischtes Lager, d.h. es kamen sämtliche Dienstgrade vom einfachen Soldaten bis zum Oberst vor. Doch waren die Mannschaften in der Minderzahl. Auf etwa 4000 Offiziere kamen ca. 200 einfache Soldaten. Das Lager, in einer schönen, leicht hügeligen und stark bewaldeten Landschaft gelegen, gruppierte sich um ein altes Kloster. Die einzige Verbindung zur Aussenwelt war die ca. 6 km entfernte Bahnstation Grassowijetz. An der Bahnlinie Jaroslawl - Wologda. Das Lager bildete ein Rechteck um das auf einem Hügel gelegene 2-stöckige massive weisse Klostergebäude. Mönche hatten hier einst mit meterdicken Mauern ihre Wohnstätten errichtet. Sie sollen im Ruf besonderer Frömmigkeit gestanden haben, aber auch gute Ärzte gewesen sein. Letzteres dürfte mit seinen Grund im Klosterbach gehabt haben, der das Lager durchfloss. Die wunderbare Wirkung seines wahrscheinlich radiumhaltigen Wassers habe ich am eigenen Leib erfahren. Nun waren die Mönche schon lange nicht mehr da und um das weithin leuchtende weisse Haus war ein Gefangenenlager mit Lehmbaracken entstanden, das Ganze umschlossen von einem doppelten Stacheldrahtzaun und Wachtürmen in allen Ecken. Ausserhalb des Zaunes ein langgestreckter Holzbau als Verwaltungszentrum, aber auch als Wohnung für die russischen Offiziere und Wachmannschaften. Über die Baracken ist wenig zu sagen. Sie waren etwa 8 - 10m breit und 30 - 40m lang und belegt mit jeweils 200 - 600 Mann auf 2 - 3stöckigen Holzpritschen. Der Platz für den Einzelnen betrug im Durchschnitt ca. 50 cm. Bei Vollbelegung konnte man also nur seitwärts schlafen und nur gemeinsam sich auf die andere Seite drehen. Im grossen Steingebäude waren etwa 1200 Mann untergebracht, Dies in verschiedenen Räumen, von denen mir der sogenannte grosse Speisesaal und der Keller noch in "bester" Erinnerung sind. Gegenüber den Baracken hatte das Kloster den Vorteil, im Sommer kühl und im Winter warm zu sein. Nachteilig waren einerseits die Ratten, die speziell im Keller Jagd auf unser Brot machten. Andererseits aber als Plagegeister von den unzähligen von Wanzen weit übertroffen wurden. Von den Unterkunftsbaracken waren 7 Stück vorhanden, dazu kamen an Gebäulichkeiten noch 2 Lazarette, davon eines als Quarantäne gedacht, eine Küche, ein grosser Speisesaal, ein Gebäude mit Einzelzimmer für den Gefangenenadel d.h. die deutsche Lagerleitung, ein Klubgebäude und in der ehemaligen Klosterkapelle das Bad (Banja). Innerhalb des Lagers waren noch die Wäscherei und die Spenglerei untergebracht. Ausserhalb die Kraftstation, Schlosserei, Schmiede, Verpflegungsmagazin, Garagen und Gebäude der Lagerkolchose.

19.7.44 - 9.8.44

Am Morgen des 19.Juli 1944 erwachte ich nun in einer dieser Lehmbaracken, Baracke 3, ziemlich unsanft wachgerüttelt durch meinen Nachbar. "Aufstehen, es ist Appell". Schlaftrunken, wie ich war, fand ich mich noch gar nicht zurecht. "Appell" sagte mir gar nichts. Aber da fast alle Kameraden bereits draussen waren, kletterte ich vom Obergeschoss fluchend hinab, schlüpfte in meine Partisanenjacke und stellte mich draussen an den linken Flügel der angetretenen Barackenbewohner. Mein erster Zählappell. 4 Jahre lang, 2 mal täglich sollte ich in Zukunft diese Prozedur über mich ergehen lassen. Zuerst zählte der Hundertschaftsführer, dann der Barackenälteste und dann der russische offizielle Zähler. Stimmten die Zahlen und war der Russe bei guter Laune, war die Zeremonie schnell erledigt. Aber wann stimmte es schon? Zählappelle von 2 Stunden waren keine Seltenheit. Und das bei jedem Wetter. Aber heute morgen war alles in Ordnung, Knobelsdorf hatte gezählt. So hiess er zwar nicht, aber sein russischer Name klang ähnlich. Darum tauften wir ihn so. Er hatte auch noch andere Spitznamen, einer davon war der "Preusse". Dies lässt auf seinen Charakter schliessen. Während die anderen russischen Offiziere sich in Bezug auf Haltung und Kleidung etwas gehen liessen, war er überkorrekt und verlangte das Gleiche von uns. Wie hat diese Exaktheit uns manchmal gequält. Diesmal machte er es aber noch gnädig. Doch von den deutschen Vorgesetzten verlangte er, dass in Zukunft niemand mehr ohne Mütze, Schuhe und Jacke antreten dürfte. Zurück in die Baracke und auf die Pritsche, das Frühstück rollt an. Die Essenholer kommen zurück. Und was bringen sie? 400g Weissbrot, 30g Butter, 40g Zucker und 40g Tabak. Das hätten wir uns in den kühnsten Träumen nicht einfallen lassen. Nachträglich erfahren wir, dass das Weissbrot ein Vorrecht der Offiziere ist und auch in der Roten Armee so gehandhabt wird. Mannschaften erhalten nur Schwarzbrot. Und das in der klassenlosen Gesellschaft. Rasch wird die Tagesration vertilgt und nichts wie raus, an die frische Luft, das Lager erkunden. Aber wer geglaubt hatte, wir könnten uns innerhalb des Lagers frei bewegen, sah sich getäuscht. Über Nacht war um Baracke 3 ein Stacheldrahtzaun gezogen worden, wir waren in Quarantäne. Ca. 1000 Mann eingepfercht auf wenige Quadratmeter incl. Latrine, aber ohne Waschgelegenheit. Na, das konnte schön werden. Die Bewohner unserer Nachbarbaracken trösteten uns. Es waren etwa 400 Offiziere der Krim - Armee. Sie hatten, ebenfalls eingesperrt , bereits 2 Wochen Quarantäne hinter sich und sollten nach 8 Tagen aus ihrem zusätzlichen Gefängnis entlassen werden. Ulkig sahen sie aus, diese Gefangenen mit ihren Tropenuniformen und mit ihren glattgeschorenen Schädeln. Ich muss wohl ein Lachen nicht ganz unterdrückt haben, denn einer von ihnen meinte durch den Zaun hindurch, dass wir in 3 Tagen auch so aussehen würden. Eine längere Unterhaltung liess der russische Posten nicht zu und wir verzogen uns in den Schatten der Baracke, um weiter zu dösen. Aber er hatte Recht. Kurz nachher mussten wir antreten und wurden in das russische Bad, die Banja, geführt. In Gruppen konnten wir dort mit Seife und Unmengen heissen Wassers unsere Körper vom wochen alten Schmutz befreien. Gleichzeitig gingen unsere Kleider, bzw. Klamotten, durch die Entlausungsanlage, eine Wärmekammer. Anschliessend fiel unser Haar. Etwa ein halbes Dutzend deutscher Frisöre wurde auf uns losgelassen und schoren uns am laufenden Band die Köpfe kahl. Welch ein Anblick. Aber da es keine Ausnahmen gab, gewöhnten wir uns schnell an dieses Bild. Im Laufe der Gefangenschaft habe ich noch mehrmals diese Prozedur über mich ergehen lassen müssen, geschadet hat sie nie. Die drei Wochen Quarantäne gingen vorbei.

10.8.44 - 2.12.44

Appell, essen, schlafen und rauchen und in der Sonne liegen waren die beherrschenden Tätigkeiten, deren jegliche Unterbrechung verhasst war. Sei es nun Antreten zu Vorträgen, Baden oder Vernehmungen. Da ich bisher keine Bekannten getroffen hatte, gab es auch nicht viel Gesprächsstoff. Mit Ausnahme vielleicht einiger Schachpartien, wobei Schach ja auch nicht gerade zum Debattieren anregt. Trotzdem verbrachte ich die 3 Wochen wie im Traum. Nichts berührte mich. Bis von aussen ein unsanfter Stoss mich aus meiner Lethargie weckte. Ein Mitglied unserer Gruppe, Olt. Dambach, Nachrichtenoffizier bei einem Div.Stab und angeblich übergelaufen, äusserte eines Tages Zweifel an meiner Zugehörigkeit zum Off. Korp, damit indirekt andeutend, dass ich als gemeiner Soldat mich in das Lager geschlichen hätte. Dies, um an der besseren Behandlung der gefangenen teilzuhaben. Tatsächlich haben sich auch immer wieder solche Fälle ereignet. Im Grunde konnte ich ja sein Misstrauen verstehen. In meinem Partisanenkostüm sah ich ja wirklich nicht wie einer seinesgleichen aus. Trug dazu ja nie Schuhe, die viel zu eng waren und meine Füsse wund machten. Glücklicherweise konnte ich sie irgendwann in diesen Tagen gegen passende Gummistiefel tauschen. Herr Dambach hielt mit seinen Zweifeln nicht hinter dem Berg und mir wurde nahegelegt, einen Zeugen zu bringen, der meinen Rang bestätigen könnte. Damals war das wie ein Schlag ins Gesicht. Nicht nur das ich meine gesamte Ausrüstung, Bekleidung, Freunde und Bekannte verloren hatte, musste ich mir jetzt diese Erniedrigung gefallen lassen. Doch liess mich dieses Gefühl der Ohnmacht nicht ruhen, sondern weckte mich aus meiner Lethargie, liess mich herumstreifen und nach bekannten Gesichter Ausschau halten. Und ich wurde fündig. Lt.Fass, von einer Pioniereinheit, wir waren gemeinsam vor Bobruisk gewesen. Er hatte hinter uns die Bahnlinie durch Sprengungen unpassierbar gemacht und ich hatte ihm mit dem PZ-Triebwagen 17 Feuerschutz gegeben. Klar, dass er meinen Lt - Rang bestätigte. Einmal aktiv geworden, schlug ich nicht mehr die Zeit mit dahin dösen tot, sondern beschäftigte mich mit meiner Ausrüstung und Umgebung. Ich hatte von irgendwoher einen riesigen Holzlöffel, fast eine Schöpfkelle. Mit einer gefundenen Glasscherbe wurde daran solange geschnitzt und geschabt, und ich hatte ja jede Menge Zeit, bis der Löffel in den Mund passte und das Essen der Suppe keine Schwierigkeiten mehr machte. Natürlich brauchte ich auch noch ein Messer. Ein grosser Nagel, auf einem Stein flach geschlagen, und ein Stück Holz als Griff waren das Material dazu. Mit der Glasscherbe den Griff in Facon gebracht und auf einem harten Stein stundenlang geschliffen, mein erstes Messer war fertig. Ich war richtig stolz. Ich befand mich nun nicht mehr auf dem Niveau der Steinzeit, ich hatte eine höhere Stufe erklommen und bewaffnet mit Glasscherbe, Holz und Draht war die nächste Errungenschaft eine Pfeife. Sie sah zwar nicht schön aus, aber schmeckte prächtig. Auch wenn mich mein Pritschennachbar, Theo Krumeich, damit aufzog. Ich hatte sie nämlich 2-teilig gemacht und da das Mundstück bald kaput war, saugte ich eben am Pfeifenkopf. Ein Wunder, dass ich mir nicht die Nase verbrannte. Theo wurde mir ein guter Freund, wir waren jahrelang zusammen und auch wieder in der Freiheit haben wir uns gegenseitig besucht. Leider starb er allzufrüh an den Spätfolgen der Gefangenschaft.

An meiner Bekleidung war nicht viel zu retten. Besonders da Nadeln und Faden fehlten. Aber mit dünnem Draht wurden die Löcher der Hose notdürftig geflickt und die Jacke konnte ich gegen eine Drillichjacke tauschen. Da wir auch in Abständen uns rasieren lassen konnten, muss ich direkt wieder zivilisiert ausgesehen haben. Auf diese Weise vergingen die 3 Wochen Quarantäne wie im Fluge. Endlich wurde der Stacheldraht um unsere Baracke entfernt und wir waren frei. Frei, uns im Lager zu bewegen. 3 Wochen absolute Ruhe und täglicher Haferbrei hatten uns wieder zu Kräften gebracht und mit neuem Mumm streifte ich die nächsten Tage umher. Liess mich von der Sonne bräunen und schaute den Ziegelmachern zu. Es waren Mannschaften, die aus Lehm, Stroh und viel Wasser in riesigen Holzformen Ziegeln formten. Diese, an der Sonne getrocknet, hatten eine erstaunliche Festigkeit. Sie wurden von uns zu der Baustelle des neuen Speiseraumes getragen. Dies war für uns auf lange Zeit der einzige Arbeitsdienst. Gewöhnlich abends, nach dem Appell, traten wir an, schulterten einen Ziegel und trugen ihn zur Baustelle. Eigentlich sollten wir ja zweimal gehen. Aber da praktisch keine Kontrolle vorhanden war überarbeiteten wir uns nicht und verdrückten uns nach dem ersten Gang. Etwa in dieser Zeit muss es gewesen sein, dass ich meinen PZ - Kommandeur Major Linke in der Stabsoffizierbaracke traf. Er erzählte mir von seiner Flucht und Gefangennahme durch Partisanen und dem Tod von unserem gemütlichen ostpreussischen Zahlmeister Kaszmeirek. Erschossen bei der Gefangennahme, wahrscheinlich, weil er als einziger der Gruppe sich morgens rasiert hatte und damit den Anschein eines höheren Offizier machte. Ich habe den Major 2 oder 3 mal besucht und dann für längere Zeit aus den Augen verloren. Es mochte etwa Mitte August gewesen sein, als innerhalb des Lagers ein grösserer Umzug stattfand. Unsere Baracken wurden für Neuankömmlinge freigemacht. Also schnürten wir unser Bündel und ab gings in das grosse Steinhaus, auch Haus 12 genannt, das eigentliche Kloster. Hier, in einem Raum, den die Mönche als Garderobe benutzt hatten, dem Vorraum zu ihrem Speisesaal, wurden wir zu 80 Mann hinein gepresst. Pressen ist sicher der richtige Ausdruck für unsere Unterkunft. 3 m hoch, 4 m breit und 6 m lang. Mit 3-stöckigen Pritschen, 2 Tischen, 3 Bänken und 2 schmalen, schmutz-überzogenen Fenstern kam es uns zunächst wie ein Albtraum vor. Doch die Zeit überwindet alles, wir gewöhnten uns an die Enge und als wir nach Monaten den Raum verlassen mussten, fiel uns das richtig schwer. Es war eben doch gemütlich geworden. Jetzt freilich beim Einräumen der Klamotten konnte man noch nichts davon feststellen. Es wurde um die Plätze gestritten, es wurde gehämmert, geklopft und gesägt, kurz ein beträchtliches Spektakel. Dann hatte man wieder neue Nachbarn, mit denen man sich bekannt machen musste, neue Gruppenführer und neue Saalchefs. Kurz und gut, ich lernte zum ersten Mal die Leiden und Freuden eines Umzuges kennen. Wie oft musste ich diese Plage der Gefangenschaft in den nächsten Jahren über mich ergehen lassen. Zunächst verlief das Leben wie in der Quarantäne. Essen, schlafen, sonnen. Wir hatten einen schönen Herbst und nutzten dies weidlich aus. Dazu kam ab und zu etwas Arbeitsdienst wie Ziegeltragen oder Wasserpumpen. Es war auszuhalten. Gegessen wurde nun nicht mehr in den Unterkünften, sondern in extra dafür aufgestellten Zelten. Da sie aber nur 400 Mann fassten, kann man sich die Dauer der Abfütterung von 4000 vorstellen. Es ist vielleicht interessant, an dieser Stelle den Essensablauf, wie er damals stattfand, zu schildern. Nehmen wir an, der Vorraum ist mit anderen Gruppen Essensrate 4. Die 3. Rate hat inzwischen soweit fertig gegessen und der Küchenoffizier schickt den OvD, die neue Rate abzurufen. Da wir ihn längst erwarteten, stehen wir 5 Minuten später nach 10er-Gemeinschaften gegliedert, vor dem Essenszelt. Nachdem die Letzten der vorherigen Rate das Zelt verlassen haben, lässt uns der Kontrolloffizier rein. Je 20 Mann nehmen wir an den Tischen Platz und warten der Dinge, die da kommen. Ordonanzen bringen Brot, Butter und Zucker in 10er Portionen und das grosse Teilen beginnt. Überall sind mehr oder weniger kunstvoll selbstgebaute Waagen aufgebaut, die Tischältesten schwingen riesige Messer und in das plötzliche Schweigen hinein walten sie ihres Amtes.

9 Augenpaare starren wie hypnothisiert auf das sich bewegende Messer, auf den Zeiger der Waage. Wehe, wenn eine Portion leichter oder auch schwerer als die Vorhergehende ist. Ein Proteststurm ist die Folge. Hat dann mit viel Glück der Verteiler seine Pflicht getan, beginnt das Auslosen. Was gab es da doch für schöne Systeme? Das Einfachste war das Auslosen nach Namen. Dann gab es das Zahlenspiel. Jeder von uns hatte eine Zahl von 1 - 10 und er erhielt die Portion, auf die die Nummer gefallen war. Oder es ging nach dem Alter, dem Alphabet, der Sitzfolge, dem Uhrzeigersinn oder entgegen. Sehr wenige Gruppen, bei denen jeder die Portion nehmen konnte, wie er wollte. Aus diesen Schilderungen wird ersichtlich, welchen Stellenwert das Essen in unserer Gefangenenzeit hatte. Natürlich blieb nach dieser Zeremonie wenig Zeit mehr zum Essen. Ein Schluck Tee, den der diensthabende Essenholer herbei geschleppt hatte, dazu das Brot mit Butter und Zucker hinuntergeschlungen und schon hiess es, das Zelt zu räumen. Die Nächsten warteten bereits. Ähnlich verlief das Mittag - und das Abendessen. Nur das dieses von uns selbst geholt werden musste. Die Teilung, das Auslosen blieb. Etwa im Oktober wurde der neue Speisesaal fertig , aber der Ablauf blieb gleich. Trotz ihrer grossen Dimension war auch die neue Halle zu klein um das ganze Lager in erträglicher Zeit durchzuschleusen. So gab es daneben noch Schalterausgabe an 2 grossen Küchenschaltern. In dieser Umgebung blieb ich bis Anfang Dezember. Draussen war es bitter kalt geworden, es hatte viel Schnee, aber in unserem Vogelkäfig wurde es richtig gemütlich. Jeden zweiten Abend hatten wir irgendeinen Vortrag, mit Themen, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. So wurde unter anderem berichtet über Schokoladen - oder Bierherstellung, Landwirtschaft, Wetterkunde, Kunst, Literatur, Stalin, Luther oder Anny Ondra. Es sprachen teilweise ausgezeichnete Referenten mit grossem Fachwissen oder Erfahrung. Besonders ist mir in Erinnerung ein Vortrag über die Dresdener Kunstschätze geblieben, die der Direktor des dortigen Museums, ein Dr. Schultze, hielt. Dann gab es Schachturniere, Ausspracheabende usw. usw. Ganz gemütlich wurde es aber in unserer Unterkunft, als eines schönen Tages Strohsäcke, weisse Bettlaken, Decken und Kopfkeilbezüge verteilt wurden. Gerne sind wir anderentags etwa 3 km zum nächsten Strohschober gepilgert, um unsere Strohsäcke zu füllen. Auf dem Kopf, über den Schultern oder unter den Armen schleppten wir unförmige Riesenwürste nach Hause. Doch der Erfolg rechtfertigte die Mühsal. Wir schliefen fortan wie in Abrahams Schoss. Sogar die Wanzen waren über die neue Einrichtung so verdattert, dass sie uns einige Tage in Ruhe liessen. Aber es war nur die Ruhe vor dem Sturm. Ja, ja, die Wanzen. Sie sind ein besonderes Kapitel in Russland und speziell in den Gefangenenlager. Wann ich erstmalig ihre Bekanntschaft machte, weiss ich nicht mehr. Es muss im September 1944 gewesen sein, als ich morgens an meinen nackten Füssen einen starken Juckreiz verspürte. Zunächst noch nicht gross beachtet, steigerte er sich derartig, dass ich mich blutig kratzte. Erst dann untersuchte ich das Fussende meiner Pritsche genauer und hob auch ein paar Bretter ab. Welch ein Wanzenparadies. Zwischen den Brettern lief, krabbelte, wimmelte es. Da brausten gleich kleinen Motorbooten kaum Stecknadel grosse Wanzenkinder dahin, behäbige Schlachtkreuzer suchten ihren Weg, übergrosse Linienschiffe lagen breit und vollgesogen im Hafen, daneben die Wracks einiger an Altersschwäche Verstorbener. In dieses Idyll fuhr die rächende Hand des Herrn. Aber bei dem folgenden Massaker quoll ein derartiger Gestank mir entgegen, dass ich schleunigst Gasalarm gab und mit zugehaltener Nase das Vernichtungswerk fortsetzte. Damals glaubte ich, dass soviel Lebewesen auf einem Fleck eine grosse Ausnahme sein müsste. Ach, ich ahnungsloser Laie. Was waren schon diese paar hundert Tierchen gegen die Millionenheere, die uns in späteren Stadien der Gefangenschaft überfielen. Doch das Leben ging weiter. Langsam schälten sich aus der Masse dieser so bunt zusammengewürfelten Menschen einzelne Charaktere heraus, die es Wert sind, hier erwähnt zu werden. Da ist zunächst Hauptmann Johann. Von September bis Dezember unser Stubenältester, begann er eines langen Abends aus seinem Leben zu berichten. Er war Westdeutscher, in den 30er Jahren Student an der Universität in Bonn. Seine Studentenerlebnisse aus dieser Zeit, er hatte es immerhin auf 22 Semester gebracht, waren zwar sehr unterhaltend, konnten jedoch keine grosse Sympathie für ihn wecken. Oder ist folgender Schwank sehr lustig, den er als Fuchsmajor seiner Verbindung in einer Bonner Kneipe scheinbar sich leistete.? Auf einem Tisch stehend, einen Humpen Bier über einen seiner Professoren auskippend und diesen mit den Worten "Ich taufe dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes" taufte. Solche, oder ähnliche Anekdoten kannte er oder hatte sie selber erlebt und brachte sie uns zur Kenntnis. Es war wohl kein Wunder, dass er nach langjährigem Studium, das abwechselnd Medizin, Jura, oder anders hiess, letzten Endes als Geodäsit die Uni verliess. Was er uns verständlicherweise nicht erzählte war die Tatsache, dass er eine hohe BDM - Führerin geheiratet hatte, zur braunen Hochzeit von der Partei ein Haus als Geschenk erhielt und bis zur Gefangennahme als NS - Führungsoffizier tätig war. Das passte natürlich nicht zu seinem Posten und zu seiner neuen Weltanschauung, die er uns mit mehr oder weniger Gewalt aufzwingen wollte.

Jeden Abend tagte denn auch der Stubengeneralstab, bestehend aus Hpt Johann, seinem Adjudanten mit dem treffenden Namen Jahannknecht und irgendeinem Beauftragten des Nationalkommitees „Freies Deutschland“. (Kurz NK) Hier wurde Rückschau gehalten und für den nächsten Tag die neue Angriffslinie festgelegt. Da wurde besprochen, wer von uns reif für die Aufnahme in den BDO (Bund deutscher Offiziere, von General Seydlitz 1944 in Moskau gegründet) war, welcher junge Offizier speziell bearbeitet werden sollte, wer unverbesserlich war und ähnliches mehr. Als Gegenpol zu diesen Super - Antifas waren drei junge Leutnants, Alms, Braun und Willich. Einer von ihnen hatte bereits in Tscherwen den vernehmenden Major so in Rage gebracht, dass ihn dieser als unverbesserlich hinauswarf. Hier, im Vorraum des Klosters, war dieses Kleeblatt der Kern der Opposition gegen den roten Druck, dem wir unterworfen wurden. Unterstützt mehr oder weniger offen durch die Masse der Anwesenden. Leider wurde dieses Kleeblatt bald durch den Fehlgriff eines von ihnen gesprengt. Dieser, seine Naschsucht oder auch Hunger nicht mehr beherrschend, hatte sich an Essensportionen seiner Gruppe vergriffen. Kameraden- diebstahl, das schwerste Vergehen in der Gefangenschaft. Er wurde erwischt und bestraft. Doch ist ihm dies eine Lehre gewesen, er wurde nie mehr rückfällig. Im weiteren Verlauf der Schilderung der Charaktere komme ich nun zu einem Trio. Sie standen zwar eindeutig auf russischer Seite, waren alle Mitglieder des BDO, aber nahmen es glücklicherweise mit ihrer Propagandatätigkeit nicht allzu genau. So war ein näherer Umgang mit ihnen möglich. Da war zunächst Lt. Minkwitz, ein Sachse. Ein typischer Sachse, muss man wohl sagen. Dann Lt. Isengardt, ein Sudetendeutscher. Er lernte eifrig tschechisch und war zur damaligen Zeit nur noch dem Namen nach Deutscher. Häufiger Schachgegner von mir, kann man die Partien, die er gewann, an einer Hand abzählen. Dann die interessanteste, wenn auch nicht hervorstechenste Figur, Sekretär Brunnengräber. Ein kleines, unscheinbares Männchen, weit über 40, von seiner Würde restlos überzeugt. Es bereitete uns immer einen Heidenspass, wenn beim Appell bei Angabe des Dienstgrades von seinem Platz im 3. Pritschenstock er hinunter krähte "Sekretär". Das wir in unserem Offizierskorps manch absonderliche Stellungen hatten, war uns bekannt. Aber "Sekretär"? Gar nicht mehr mit ihm zu sprechen war, als er durch den Stubenältesten das Amt des Ofenbetreuers erhielt. Prompt erhielt er den Spitznamen "Feuergott". Er machte ihm alle Ehre. Zur Kennzeichnung noch der Grund seines Eintritts in den BDO, nämlich die Engländer hatten sein Heimatstädtchen, ein Provinznest in Mitteldeutschland bombardiert. Zum Abschluss noch zwei Menschen, in allem das Gegenteil voneinander. Der eine war Rittmeister Eggert, trotz seiner 50 oder mehr Jahre, die man ihm ohne weiteres nicht ansah, war er der ruhende Pol in den immer wieder aufbrechenden Streitgesprächen. Entschiedener Gegner des BDO war es ein Genuss, seinen Lebenserfahrungen, seinen Erinnerungen zu lauschen. Oder aber auch mit ihm eine Partie Schach zu spielen. Ganz guten Freunden, ich hatte auch einmal die Ehre, zeigte er einige seiner geretteten Photos. Auf einem oder mehreren war er als Reitlehrer im Berliner Tiergarten zu sehen, hoch zu Ross, mit Herrn und Frau Göring im Schlepptau. Hoffentlich hat niemals der Russe von diesen Bildern Kenntnis erhalten. Der andere, den ich beschreiben will, war Ollt. Dambach, das Riesenbaby. Gross, etwa 1,9 m, breit, bewegte er sich, und das musste der gutmütigste Kritiker zugeben, wie eine schwangerne Ente. Ich zählte ihm gegenüber nicht zu diesen gutmütigen Seelen. Im Gegenteil, er war mein erbitterster Gegner. War er es doch, der in der Quarantäne die Zweifel an meiner Zugehörigkeit zum Off. Korps geäussert hatte, über meine Lumpen die Nase rümpfte und verlangte, dass ich sie wegschmiss. Ohne Rücksicht, ob Ersatz hierfür da war oder nicht. Nun hatte das Schicksal mir diesen Menschen als Gruppenchef gegeben, gezwungen, auf engstem Raume zusammen zu leben. Die Folge waren Zusammenstösse am laufenden Band. In politischer Hinsicht : er war Mitglied des BDO. In verpflegungsmässiger : Er wollte deutsche Off. Kasinomethoden einführen. In jeder anderen Hinsicht. Ich brauchte ihn nur zu sehen, sah ich rot. Es war für mich eine Genugtuung, zu erfahren, dass er als Nachrichtenoffizier übergelaufen war. Und im Auftrag der Russen über Lautsprecher unsere Soldaten zur Kapitulation aufgefordert hatte. Doch auch diese Zeiten gingen vorbei. Das Letzte, was ich vor meiner definitiven Entlassung 1948 von ihm hörte, war, das er mit Knochen - TBC im Lazarett läge und seine Heimkehr mehr als fraglich.

In dieser Umgebung verflog die Zeit fast unmerklich. Der erste Schnee fiel, blieb liegen, die ersten Schneestürme brausten um die dicken Klostermauern. Wir bemerkten es kaum. Auch das Fallen des Thermometers unter -15 Grad im November störte nicht. Wir brauchten ja nicht zu arbeiten, lasen, spielten oder schliefen je nach Lust und Laune und warteten von einem Essen auf das andere. Ich kann mich in dieser Zeit nur an einen einzigen Arbeitsdienst erinnern. Es war ausserhalb des Lagers, es hatte geschneit und stark gefroren. Für 4 Stunden wanderten wir 12 Mann, mit Pelz, Handschuhe, Wattemütze und geliehenen Schuhen ausgestattet zu einer Feuerpumpe. Die Wasserleitung zum Lager war eingefroren und wir mussten das Lager mit dem so wichtigen Wasser versorgen. Zu je 4 Mann bewegten wir die Pumpenschwengel. 100 Stösse, und die Ablösung war an der Reihe. Die Wartezeit verbrachten wir an einem grossen Feuer, dann wieder 100 Stösse usw usw. Bis nach 4 Stunden die Ablösung kam und wir, trotz dem Feuer durchfroren, wieder in die Unterkunft marschieren konnten. Trotzdem ich ganz schön gefroren hatte, war dieser Arbeitseinssatz, verglichen mit denen die mir noch bevorstehen sollten, eine Spielerei. Ende November tauchten Listen auf, mit ihnen Gerüchte einer vollständigen Umbelegung des Lagers. Es sollte dienstgradmässig zusammengelegt werden. Mit Spannung sahen wir den folgenden Tagen entgegen.

2.12.44 - 18.6.45

Und am 2.Dezember war es soweit. Es hiess Sachen packen und umziehen, für mich in Baracke 4. Diese war für etwa 500 Mann eingerichtet, aber am Abend nur mit ca 100 Mann belegt. Und dies bei -20 Grad draussen. Dank dieser Unterbelegung war es in der Baracke erbärmlich kalt. Etwa 0 Grad. Da konnten selbst die 3 grossen Öfen nichts ausrichten, besonders, da es auch noch an Holz mangelte. So kann man sich die Stimmung der vermummten Gestalten vorstellen, die entweder Hände reibend auf- und abliefen oder sich an den Ofen pressten. Ich fand natürlich in Ofennähe keinen Pritschenplatz mehr und musste mich mit einem Eckplatz unten auf einer 2 - stöckigen Pritsche begnügen. Die Pritsche war bei meinem Eintreffen bis auf meinen Platz und einem grossen Loch daneben bereits besetzt. Auf diesen Platz neben mir musste Theo Krumeich unterkommen, Theo, den besten Freund und Kameraden, den ich je hatte. Aber wie sollte er schlafen, die Pritsche kaputt, kein Brett in Sicht. So deponierte er zunächst sein Bettzeug und seine Klamotten auf meine Füsse und ging Bretter suchen. In einer Ecke fand er welche und mit Genehmigung des Barackenältesten baute er sie in unsere Pritsche ein und eng aneinander geschmiegt schliefen wir die erste Nacht im neuen Heim. Beim Erwachen grosses Geschrei: "Wer hat die Bretter gestohlen?" Da Theo ja die Genehmigung gehabt hatte, leugnete er es nicht. Trotzdem liess sich eine Stimme von unserem Kopfende vernehmend, laut und deutlich durch die Baracke schallend : "Wer Bretter stiehlt, stiehlt auch Brot". Oh, hätte er doch geschwiegen. Für Theo und mich war es anderthalb Jahre später eine grosse Genugtuung, zu erleben, dass der Schreier, ein gewisser Herr Schmör vor versammelter Kompanie des Kameradendiebstahls überführt wurde. Beim folgenden Spiessrutenlaufen brach er bereits nach den ersten Schlägen zusammen. Ob er in den folgenden Wochen der Strafkompanie daran gedacht hat, dass man niemals jemand mit etwas bezichtigen sollte, wozu man selber fähig ist. Es war sicher anständiger, Bretter mit Erlaubnis zum Bau des Bettes zu entnehmen, als Kameraden, die selbst Hunger haben, Essen zu stehlen. Bei Arbeiten in der Küche hatte er mehrere Pakete Eipulver entwendet. Doch zurück zur Baracke 4. Der 3.Dezember geht vorbei. Per Zufall erfahre ich, dass Theo Geburtstag hat. Normalerweise erhält jedes Geburtstagskind von seiner Verpflegungsgruppe eine doppelte Portion Essen. Durch die Wirren des Umzugs ist bei ihm nichts gemacht worden. Und ich habe auch nichts mehr zum Teilen. Doch halt, da liegen ja noch die 10 - 15 Steine vom heutigen Trockenobst. Sie sind sehr begehrt wegen ihren mandelartigen Kernen. Mit meinen Geburtstagswünschen übergebe ich sie Theo. Sie waren der Grundstock einer Freundschaft, die die Jahre der Gefangenschaft ohne Probleme überstand, leider aber bald nach der Heimkehr durch den viel zu frühen Tod von Theo endete. Langsam füllte sich die Baracke, alle Liegeplätze waren belegt und so kam auf jeder unteren Pritsche ein fünfter zusätzlicher Mann. Und damit kam zu uns Lt. Koch. Im Privatberuf Jurist, Staatsanwalt in Ludwigshafen Etwa 40 Jahre alt, mittelgross. Er übernahm den Platz neben Theo und so wurde aus uns ein Trio. Wir sollten noch viel miteinander erleben. Mitte Dezember 1944. Das Thermometer sinkt und sinkt. -20 Grad, -30, -40, am 16. Dezember werden -56 Grad gemessen. Und ich in meinen abgeschnittenen Gummistiefeln war an der Reihe, Essen zu holen. Zurückgekommen schlüpfe ich unter die Decke, aber die Füsse bleiben kalt und gefühllos. Die Nacht vergeht, viel zu langsam für einen, der vor Kälte nicht schlafen kann. Am 17.12 morgens werden endlich die Füsse warm, aber mit der Wärme kommen die Schmerzen. Sie glühen, schwellen an. Mühsam humpele ich zum Barackenarzt. Erfrierungen zweiten Grades war seine Diagnose. Wenn die Blasen kommen, melden Sie sich wieder, sein trockenes Kommentar. Zum Aufstechen. Bis dahin, Füsse hochlagern. Ich liege auf der Pritsche, die Füsse hoch und unbedeckt. Bald sind 7 Zehen von Blasen überzogen, aber zum Arzt gehe ich nicht mehr. Dies, nachdem er anderen Leidensgenossen einfach die Haut von den Blasen abgerissen hatte. So kommt Weihnachten heran, die ersten Weihnachten in Gefangenschaft. Zur Feier des Tages gab es Christstollen, gebacken aus seit Wochen von der Küche eingesparten Lebensmittel. Eine stille Feier, man denkt an zu Hause. Dann Sylvester, Neujahr. Langsam trocknen die Blasen aus, die Schwellung verschwindet. Trotzdem gelingt es Theo und mir, er hatte nur 3 Zehen erfroren, die Stellung als Kranke zu halten. Bis etwa Mitte März 1945. Kein Arbeitsdienst, nicht mal das Essen mussten wir holen. Wir lagen auf unseren Bärenhäuten, lasen, spielten und erzählten aus unserem Leben. Wer waren nun diese fünf, die nebeneinander auf engstem Raum zusammenlebten, eine Pritsche teilten und 6 Monate Freud und Leid. Links aussen lag der Berliner Günter Schulze, auch Gottlieb Schulze genannt. Dies frei nach dem Song "Ach verzeihn Sie, meine Dame, Gottlieb Schulze ist mein Name und ich liebe sie". Etwa in meinem Alter war er der einzige Sohn eines Berliner Gasthausunternehmers. Von Wittenau, einem Vorort im NW der Hauptstadt. Wie ich später erfuhr, hat er bei den letzten Kämpfen Vater oder Mutter verloren. Zur damaligen Zeit davon natürlich ohne Kenntnis, war er uns ein guter Kamerad. Auf die Russen schimpfend, an Deutschland glaubend, mit echt Berliner Schnauze versehen, bediente er seine kranken Nachbarn auf das Beste. Ihm zur Seite lag Olt. Keller, sächsischer Dorfschullehrer, im Erzgebirge zu Hause. Waren schon Sachsen wie Lehrer nicht besonders beliebt, vereinigte er alle Merkmale dieser Typen in sich und steigerte sie manchmal bis zur Vollendung. Neben der Pedanterie des Dorfschullehrers besass er den Geiz der Sachsen, dies verbunden mit dem grauenhaften sächsischen Dialekt. Wenn er sich auch viel Mühe gab, zu einem guten Kameraden fehlte noch viel. Schulze hatte ihm den Spitznamen "Nante" gegeben, nach der bekannten Berliner Witzfigur "Nante, der Eckensteher". Zwischen ihm und Krumeich lag dann unser Opa, unser Senior, Lt. Koch. Der Arme kämpfte ständig mit seinem Platz. Denn genau dort, wo seine Liegestatt eigentlich war, stand ein mächtiger Pfeiler, das Barackendach tragend. Nach langer Übung brachte er es denn doch fertig, in Fragezeichenform zu schlafen. Ehrlich, es war ein Kunststück. Koch war Pfälzer, im Zivilberuf wie schon gesagt Jurist, Amtsrichter für Verkehrsunfälle am Gericht in Ludwigshafen. Er war der ideale Partner bei unseren Gesprächen, hatte ein unerschöpfliches Reservoir von erlebten und nicht erlebten Anekdoten, aus seiner Tätigkeit als Richter, Staatsanwalt oder Ehescheidungsanwalt. Seine Kameradschaft, seine anständige Haltung waren beispielhaft. Er war bei allen sehr beliebt. Von seinen Erzählungen ist mir speziell eine in Erinnerung geblieben. Da vernimmt in einem öffentlichen Prozess ein Staatsanwalt ein Mädchen zweifelhaften Rufes und diese, statt auf die Fragen zu antworten, fragt ihn: "Staatsanwältchen, Staatsanwältchen, kennen wir uns nicht?" Wir alle hatten unseren Opa im Verdacht, dass diese etwas peinliche Geschichte ihm selber passiert ist. Im Übrigen war er trotz des Spitznamens "Opa" bei weitem nicht so alt, aber seine ständige Fürsorge für uns und die riesige Glatze machten aus unserem Dr. Erich Koch unseren "Opa". Endlich, links von mir, lag Theo Krumeich. Etwa 7 Jahre älter als ich trug er zur damaligen Zeit einen riesigen schwarzen Vollbart. Kräftig, klein und untersetzt, wirkte er mit aufgesetzter Pelzmütze wie ein Gnom. Auf seinen Bart war er sehr stolz und pflegte ihn, wo er nur konnte. Einmal, er war mit einem russischen Offizier nach Grassowijetz gefahren, musste er den Schlitten hüten, während der Offizier seinen Geschäften nachging. Da wäre ein alter Zivilist gekommen, sieht den Theo, seinen Vollbart, wird bleich, geht vorüber, kommt zurück und wendet sich dann endgültig ab, Tränen in den Augen und seine spärlichen Barthaare streichelnd. Was haben wir gelacht, als er es uns erzählte. Aber Theo war bereit, die Tränen des Russen zu beschwören. Als Theo dann irgendwann im März oder April ohne Bart erschien, fehlte uns allen etwas. Wir brauchten lange, um uns an den neuen Anblick zu gewöhnen. Theo war Rheinländer, von Beruf Kaufmann, sein Vater hatte eine Keramikgrosshandlung in Ransbach in der Nähe von Koblenz. Nach einer schönen Zeit im besetzten Frankreich, wo er sich als Motorradfahrer allerhand geleistet hatte, kam er kurz vor dem Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte nach Russland. Machte zunächst als Meldefahrer Dienst, dann als Zugführer in einer PZ-Jäger-Kp. In Gefangenschaft kam er noch östlich der Beresina, ein paar Tage vor mir. Wegen einem kurz vorher persönlich geknacktem Panzer wollten die Russen ihn zuerst erschiessen, liessen es aber dann doch bei Schlägen bewenden. Seine politische Meinung entsprach ganz der meinen und während den langen Jahren der Gefangenschaft kam es nie zu einen ernsteren Zusammenstoss zwischen uns. Und den rechten Eckplatz hatte ich inne. Mit den Köpfen zu uns, dem sogenannten Hinterhaus, lag das Vorderhaus, bunt bestückt mit Österreichern und Sachsen. Wobei die Ersteren mir noch am sympathischsten waren. Von den Vorgesetzten und Politwarten ist hier nichts zu sagen. Ausser allabendlichen Vorträgen über Russland und den Segen des Bolschewismus, bei denen man so gut einschlafen konnte, liessen sie uns in Ruhe. Der Nachteil dieses Einschlafetrainings war aber, dass wir bei wirklich interessanten Themen nur mit Mühe wach bleiben konnten. Und solche Vorträge gab es auch. So verging der Januar und Februar 1945 ohne besondere Ereignisse. Mein Geburtstag nahte. Nun bestand damals die schöne Einrichtung, dass Geburtstagskinder Anrecht auf eine doppelte Portion Mittag - und Abendessen hatten. Da aber in diesem Jahr kein 29. Februar war, hatte ich die Wahl: 28. Februar oder 1.März. Ich wählte natürlich den 1.März. Warum? Weil es in dieser Zeit abwechselnd an einem Tag Fleisch und am nächsten Tag Fisch gab. Ich bin nie ein grosser Fischesser gewesen, besonders nicht von Fischsuppen, bei denen man von oben schwimmenden Augen angestarrt wird. Und der 28.2. war ein Fischtag. So kam mein grosser Tag. Am frühen Morgen überraschte mich die Gruppe mit ihrem Geschenk. Schulze überreichte mir auf einem weissüberzogenen Brett eine Portion Brot mit Butter, Zucker, etwas Tabak, dazu ein kleines Glückwunschkärtchen mit allen Unterschriften, alles mit Tannenzweigen geschmückt. Wirklich rührend. Mittags gab es dann eine prächtige Fleischsuppe mit Erbsenbrei und Büchsenfleisch und abends wieder eine gute Gemüsesuppe, und das alles in doppelter Portion. Wen wunderts, dass anderen Tags ein total verdorbener Magen hinzu kam. Das Büchsenfleisch hatten wir übrigens einem Oscar Meyer aus Chicago zu verdanken, der mit riesigen Fleischlieferungen an Russland massgebend am russischen Sieg, aber auch an unserem Überleben beteiligt war. Von meiner Geburtstagsfeier hat dann aber auch noch eine sogenannte Stachanowratte profitiert. Anderentags fehlten mir nämlich etwa 300g Brot. Übersatt, wie ich war, habe ich ihm verziehen. Ich nahm zu seinen Gunsten an, dass er Rücksicht auf meinen verdorbenen Magen nehmen wollte. So kam der Frühlingsanfang, der 21.März. Es ging nicht mehr weiter mit krank stellen. Die Füsse waren verheilt und die Sonne schien so schön warm auf den Schnee. Wir, Theo und ich hielten es in der muffigen Baracke nicht mehr aus und meldeten uns als gesund. Damit zum Arbeitsdienst. Anderen Tags um 7Uhr früh sammeln am grossen Tor zum Kommando Holztragen. Auf geliehenen Schuhen geht es durchs Tor, auf der Strasse zwischen meterhohen Schneewänden, durch 2 Dörfer und nach etwa 8 km sind wir am Ziel. Eine Lichtung mitten im Walde. Hier haben den ganzen Winter Landser in Fronarbeit Bäume gefällt, zersägt, gestapelt. Nun liegen diese Stapel unter viel Schnee und unsere Aufgabe ist, sie freizulegen und die Stämme an die Strasse zu bringen. Zwecks Abtransport per Lastauto ins Lager. Heiss scheint die Sonne, wir schwitzen. Mäntel, Röcke und Handschuhe werden abgelegt. Ja, ganz Verwegene arbeiten mit blossem Oberkörper. Müde, aber guter Dinge kehren wir abends ins Lager zurück, mit einem Bärenhunger. Das kurz darauf folgende Nachtessen entschädigt für die Mühen und mildert etwas den Hunger. Diese Art Arbeit war nun in den nächsten Wochen unsere Hauptbeschäftigung, leider aber nicht mehr bei so schönem Wetter. Wenn man dann auch frierend und schimpfend, vor Kälte zitternd durch den Schneesturm stapfte, einmal zurück, auf der warmen Pritsche eine Zigarette rauchend und auf die Abendsuppe wartend, war alles vergessen. Nicht vergessen kann man dagegen den Hpt. Weigand. Er war Beauftragter für den Arbeitseinsatz. Einmal in diesen Tagen schickte er Kameraden, die von der russischen Ärztin am Tor wegen zu schlechtem Schuhwerks zurückgeschickt wurden, in einem unbeobachteten Moment doch wieder hinaus in Kälte und Schnee. Mitte April begann die Tau- und damit Schlammperiode. Strasse und Wege waren für die Autos unpassierbar geworden und der Holzvorrat schwand. Da hiess es, alle Mann an Deck. Aus einem etwa 1km entfernten Holzlager musste Holz ins Lager getragen werden. Die Norm waren 3-4 Gänge. Am frühen Morgen ging es noch. Der Boden war noch leicht gefroren. Aber die beiden letzten Gänge. Teilweise bis zu den Knien im Wasser und Schlamm watend, wird endlich der letzte Stamm auf den Haufen bei der Küche geworfen und eingerückt. Im Grunde war es lachhaft, zu sehen, wie zu Beginn der Arbeit jede kleinste Pfütze umgangen, jede Schneebrücke ausgenutzt wurde. Und dies mit Baumstämmen auf den Schultern von 2 oder mehr Mann. Aber dann, einmal nass, gings mitten durch die grössten Gewässer. Und das noch mit Spass. Was sind schon nasse Füsse, sie trocknen wieder. Einen Schnupfen, wie er in Westeuropa unvermeidbar wäre, haben wir uns jedenfalls hierbei nicht geholt. Wenn wir dann nach getaner Arbeit nachmittags in der Sonne sassen und es uns wohl gehen liessen, konnten wir mit sanftem Schauder den Produktefahrern zusehen. Es waren dies Angehörige eines ständigen Kommandos, das unsere Küche mit Nahrungsmittel versorgen musste. Was mussten die sich quälen. Das russische Magazin lag auf einem Hügel vor dem Tor. Die Küche, ebenfalls auf einem Hügel, neben dem Kloster. Nun musste der schwerbeladene Wagen zuerst durch den Schlamm den Hügel runter zur Brücke und dann anschliessend die steile Rampe zur Küche hochgezogen werden. Welch ein Krampf. Da legten sich dann 10-12 Gefangene in die Seile, ein schreiender Aufseher daneben. Nur die Peitsche fehlte zum Sklavenaufzug. Seine Rufe "links 2-3-4" drangen bis zu unserer Ruhestätte, störten uns aber nicht gross. Man gewöhnte sich dran. Warum wir den armen Teufeln nicht halfen? Nun, einmal hatten wir unseren Arbeitsdienst hinter uns und dann waren dies alles Freiwillige, die für ihren Arbeitsdienst eine zusätzliche Essensportion erhielten. Warum also Mitleid? Was ich damals nicht wusste, war, dass ich im nächsten Winter die gleiche Arbeit machen sollte, dann aber ohne zusätzliches Essen. Seit einigen Tagen läuft ein Gerücht durchs Lager. Bösartig, grauenerregend. Man spricht vom Impfen. Da werden selbst die Tapfersten weich. Es werden Pläne geschmiedet, wie dem Unheil entgangen werden kann. Vergebens. Eines schönen Morgens, Ende April, kommen weissgekleidete Wesen, Männlein und Weiblein, ins Lager. Ärzte und Schwestern mit viel Gerät und grossen Listen. Sie bauen ihre Werkstatt am Barackeneingang auf. Hat da einer "Freiwillige vor" gerufen? Leider nein, wir kommen alle dran. Es war nur der Barackenältester, der kalt und ironisch den Beginn der Impfaktion ansagte. er fügte hinzu, dass alle listenmässig erfasst wären und drücken bestraft würde. Mein Gott, auch das noch. Die Mutigsten stellten sich dem spritzenschwingenden Sanitätspersonal. Ehrlich gesagt, ich gehörte nicht dazu. Aber es nützte ja nichts. So habe ich letzten Endes mein Hemd ausgezogen und mich in der Reihe aufgestellt. Wieder so eine Schikane, der Schreiber streicht die Namen erst nach dem Impfen. Vom Hintermann gestossen, stehe ich plötzlich vor dem Sanitäter. Einen Jodfleck auf dem Rücken, möchte ich zum Schreiber schleichen. Der winkt lachend ab, zuerst zum Arzt. Na denn, Schicksal nimm deinen Lauf. Mit dem Rücken zum Arzt, den Fuss in Ausfallstellung erwarte ich den Angriff. Ein Schlag in den Rücken warf mich nach vorn, eine Nadel bohrte sich ins Fleisch. Jeden Augenblick erwartete ich, sie vorne aus der Brust wieder herauskommen zu sehen. Aber nichts dergleichen. Es war vorbei. Eine Stimme "Der Nächste bitte". Aufatmend ging ich am Schreiber vorbei zu meiner Pritsche, wo Theo mitleidig fragt, ob es mir nicht gut ginge. Ich sähe so angegriffen aus. Grossspurig sprach ich von einem kleinen Mückenstich und mit Schadenfreude sah ich ihn zur Richtstätte eilen. Fluchend kam er zurück. Nie wieder würde er sich von einem deutschen Arzt impfen lassen. Ich war ganz seiner Meinung. Aber wir brauchten dies auch nicht mehr. Denn alle späteren Untersuchungen und Impfungen wurden von russischen Ärztinnen durchgeführt. Nachdem vorübergehend die Schmerzen in der Schulter nachgelassen hatten, kam gegen Abend das Fieber. Da ich bereits seit Tagen an meinem chronischen Stirnhöhlenkathar litt, ging es mir in der folgenden Nacht gar nicht gut. Das Fieber muss sehr hoch gewesen sein, denn als es mir am folgenden Tag vom Arzt gemessen wurde, stand die Quecksilbersäule immer noch auf 38,4. Da aber 38 Grad die Grenze war, bei deren Überschreiten alle ins Lazarett wanderten, lag ich am Abend dieses Tages gebadet, entlaust, ohne Haare, aber mit frischer Wäsche in einem weiss überzogenen Feldbett. Leider dauerte die Herrlichkeit nicht all zu lang. Eine Unmenge Aspirin beendete das Fieber. Und selbst der wunderbare Durchfall, verursacht durch die fett- und eiweissreiche Kost konnten meinen Hinauswurf nicht hinauszögern. Da wir Radio in den Zimmern hatten, hatte ich das zweifelhafte Vergnügen, die Feiern zum Fall von Berlin live mitzuerleben. Sondermeldung folgte Sondermeldung. Musik und Siegeschöre. Schade, das es noch kein Fernsehen gab. Der Feuerzauber der Moskauer Salutbatterien war sicher ein überwältigendes Schauspiel. So stand ich dann nach 6 Tagen Lazarettaufenthalt wieder vor Theo, meine Kopfblösse verbergend. Immerhin glaubte ich damals, dass die Haare bis zur Entlassung doch wieder einigermassen nachwachsen würden. Welch Optimismus. Übrigens kurierte ich auch ohne ärztliche Hilfe meinen Durchfall selber. Wie? Mit dem Wasser aus dem Bach, der mitten durchs Lager floss. Eine grosse Büchse trank ich in einem Rutsch aus. Einzig etwas gesparten Zucker hatte ich dem eiskalten Wasser zugegeben. Wenige Stunden später war der Stuhlgang normal. Meine Kameraden hielten mich zwar für verrückt, aber das kann es nicht gewesen sein. Ich führe diese und auch spätere Heilungen auf das radiumhaltige Wasser zurück. Die Mönche hatten ja nicht von ungefähr ihr Kloster in dieser Einöde und an diesem Wasser gebaut.

Die nächsten Tage sahen uns sehr niedergeschlagen, Deutschland hatte kapituliert. Alles, wofür wir gekämpft hatten, war vergebens gewesen. Das NK hatte mit seiner Propaganda doch Recht behalten. Der Schlag traf uns ähnlich vergleichbar, wie der Zeitpunkt der Gefangennahme. Mussten wir nun unsere Einstellung zu den Russen einer Revision unterziehen? Mit offener Opposition war nichts mehr zu machen, da ja kein Staat mehr hinter uns stand. Wir waren vogelfrei geworden. Diese Erkenntnis, dass keine Macht der Erde sich um uns kümmert, kein Staat, kein Rotes Kreuz etwas für uns tun kann, beeinflusste meine Stellungsnahme und die meiner Kameraden. Wir wechseln die Fronten, die Gesichter. Bisher ganz antirussisch, bzw. antikommunistisch eingestellt, maskieren wir uns nun. Der Zweck, einigermassen gesund nach Hause zu kommen, heiligt die Mittel. So ist meine erste Massnahme, die ich als vordringlich betrachte, mein Gesuch um Aufnahme in den BDO. Theo macht da nicht mit. Und er hat Recht. Waren wir vorher umworben, hat jetzt nach der Kapitulation der Russe kein grosses Interesse an uns als Antifaschisten. Der Mohr hatte seine Schuldigkeit getan. Wir wurden nie aufgenommen. Trotzdem unsere Gesinnung sich nicht gross geändert hatte, wollen wir in Zukunft alles unterschreiben, was man von uns verlangt. Dies, wie die Masse der Kriegsgefangenen. Sollte jemals später irgendjemand uns auf solche Unterschriften ansprechen, würden wir alles ableugnen. Aber es kam gar nicht dazu.

Mitte Mai 1945 nahte wieder ein Umzug. Es waren Strassenbaukompagnien aufgestellt worden, zunächst auf freiwilliger Basis. Theo meldete sich, Koch und ich nicht. Nach dem alten Landser - Motto, wonach man sich nie freiwillig melden darf. Es hiess Abschied nehmen. Ich sah Theo erst Jahre später und in einem erbärmlichen Zustand wieder. Koch und ich, strafweise oder auch nicht, wurden in den Klosterkeller verbannt. Dieser, er diente früher sicher einmal als Weinkeller, hatte meterdicke Mauern. Dafür keine Fenster und zwei armselige Glühbirnen, die zwischen den 3-stöckigen Pritschen baumelten. Es war wie in einem Grabgewölbe. Zwar waren die Wanzen dank Kühle und Feuchtigkeit kaum spürbar, dafür trieben unzählige Ratten ihr verwegenes Spiel. Am helllichten Tag, soweit man bei geöffneten Türen davon sprechen konnte, sprangen sie über unsere Füsse, kletterten die Pfosten hinauf und mit einem ergatterten Stück Brot wieder herunter. Wen wunderts, dass wir jedesmal nach der Verteilung unser Brot restlos vertilgten. Während mir diese schauerliche Umgebung relativ wenig ausmachte, war Erich Koch sehr deprimiert und niedergeschlagen. Ihm zuliebe, aber auch weil bekannt wurde, dass in Zukunft die Arbeitsdienstpflicht auch für Offiziere bis einschliesslich Hauptmann gelten würde, meldeten wir uns ebenfalls zum Strassenbau. Zur Kompanie von Major Weinzheimer. Dieser, aus Speyer und von Beruf Weinhändler hatte sich bereits im Herbst 44 bei Erntekommandos bewährt und galt als integre Persönlichkeit. Von den 3 Kompanieführern war er der sympathischste. Leider hatten wir ihn nicht all zu lange. Der Russe begann, sich für sein Vorleben zu interessieren und holte ihn ständig zu Vernehmungen. Bis Frühjahr 46 hatte Weinzheimer 180 Tage Einzelhaft ungebrochen überstanden, ohne in seiner Haltung verändert zu sein. Die Folge unserer Freiwilligmeldung bekamen wir bald zu spüren. Wieder Umzug, diesmal in einen etwas grösseren Raum des Klosters. Hell, warm, aber stark verwanzt. Hier zwangen mich die Wanzen erstmalig zur Flucht. Dies, nachdem ich ihnen lange, in Bettlaken, Handtuch und andere Lumpen eingewickelt wie eine Mumie, widerstanden hatte. Aber nachdem die ersten den Schutzwall durchbrochen hatten und am Hals und Nacken manövrierten, sah ich mein Heil nur im Rückzug. Die folgenden Nächte schlief ich dann im Korridor auf dem Fussboden, ungestört von Wanzen, nur ab und zu getreten von einem schlaftrunkenen Lokusgänger. Einmal noch versuchte ich auf der Pritsche zu schlafen. Dies nach einer Generalentwanzung mit viel Wasser, Chlor, Teer, Kalk. Aber die Überlebenden waren noch so zahlreich und so darauf bedacht, ihre toten Kameraden zu rächen, dass nach einer schlaflosen Nacht ich die Konsequenzen zog und jeden Abend mit Strohsack und Decke auszog, in wanzenärmere Gegenden. Lange brauchte ich dies freilich nicht mehr zu machen, denn der 18.Juni 1945 kam und mit ihm mein erster Auszug aus dem Lager, auf zu neuen Abenteuer. Keiner von uns ahnte damals, welche Geborgenheit und Sicherheit wir verliessen und was an Unmenschlichkeit auf uns wartete. Meine ausführliche Schilderung der Zeit im Lager 150 geht mit diesem Datum zu Ende. In kurzen Schilderungen habe ich später versucht, einzelne Episoden, sei es vom Strassenbau, vom Eisenbahnbau, vom Holzverladen oder der Schwerarbeit im Schmiedehafen zu Papier zu bringen.

Auch eine Beerdigung
August 45

Bei der Arbeitsverteilung heute morgen sind 4 Kriegsgefangene, Innendienstler, zu einem besonderen Kommando bestimmt worden. Während alle anderen auf die Baustelle müssen, bleiben sie in der Unterkunft, einer ausgedienten Kirche und vertreiben sich die Wartezeit mit Rauchen.

Ein russischer Bauer kommt. verlegen die Mütze in den Händen drehend, fragt er durch Zeichen und einige deutsche Sprachbrocken, ob die 4 vor ihm die bestellten Leute wären. Darüber Gewissheit erlangt, führt er unsere Kameraden auf den Friedhof. Dort erläutert er ihnen wortreich, leider auf russisch, seine Wünsche. Es dauert einige Zeit, bis alles verstanden ist und die Art des heutigen Arbeitsdienstes klar ist. Ein Grab sollen sie graben, gross und tief genug für einen Erwachsenen. Befriedigt, nachdem er die Inangriffnahme der Arbeit gesehen hat, verlässt "Iwan" den Platz.

Heiss brennt die Augustsonne vom Himmel, schwitzend ist die notwendige Tiefe und Grösse erreicht. Worauf im Schatten einer der alten Birken die vier sich von der nicht alltäglichen Arbeit ausruhen.

Kurz nach Mittag nähert sich vom Dorf her ein seltsames Gefährt. Ein völlig abgetriebener, ausgemergelter Klepper zieht einen der sogenannten Panjewagen, beladen mit einer länglichen Kiste. Darauf sitzend unser schon bekannter Bauer, peitschenschwingend das arme Rösslein antreibend. Dahinter folgen 2 Frauen, von denen die eine etwas schluchzt. Am Grabe angekommen, steigt der Russe von der als Sargersatz dienenden Kiste und deutet auf das Grab. Da keine Seile vorhanden, wird der Sarg eben so hinuntergelassen, bzw. mehr oder weniger hinunter geworfen. Darauf wenden sich die drei, der Kutscher schnalzt seinem Gaul und auf dem Wagen sitzend, diesmal ohne Untersatz, geht es zurück ins Dorf. Den vier Kriegsgefangenen bleibt es überlassen, nach einem stillen Gebet die Grube wieder zu zu schaufeln.

Kategorie: Erinnerungen von Kriegsgefangenen | Hinzugefügt von: Anatoli
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