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Ernst Kausel: Meine Erlebnisse in der Gefangenschaft (Teil 2)
01.06.2013, 12:54

Inhaltsverzeichnis

Base 83

Lager Suda 158/8


Base 83

Im November 1945 wurde im Lager ein Arbeitskommando zusammengestellt. 30 Mann wurden gesucht. Man erfuhr davon nur hinter vorgehaltener Hand. Alles wurde geheim gehalten. Niemand wusste was es für ein Kommando war nur die deutsche Lagerleitung, die beauftragt war, dieses Kommando zusammenzustellen. Das gab natürlich Anlass zu verschiedensten Gerüchten. Alle wollten zu diesem geheimnisvollen Kommando. Da schaltete sich der Sprecher der Österreicher ein. Im Lager Grjasowetz waren unter den 4000 Deutschen noch 30 Österreicher, die nach Kriegsende in einem Raum im Steingebäude, dem alten Kloster, zusammengelegt wurden. Der Sprecher war Herr Schubert aus Melk. Er war Elektriker und hat ein Einzelzimmer neben uns bewohnt. Er hatte einen sehr guten Draht zur russischen Lagerleitung. Er hat es durchgesetzt, dass die 30 Österreicher das Kommando bekommen haben.

Am 5. Dezember 1946 wurden wir in ein Dorf gebracht, wo eine russische Einheit des Militärkommandos 83 stationiert war. Dort wurde uns ein Soldat zugeteilt, der uns betreuen sollte. Er hieß Samatschuk und stammte aus Lemberg Lwow aus der Ukraine. Sein Vater hat noch in der Österreichischen/Ungarischen Monarchie als Soldat gedient. Er war also gewissermaßen ein Altösterreicher. Er war stolz, dass er diese Aufgabe bekommen hat. Er führte uns nun in ein Nachbardorf, wo etwas abseits ein einzelstehendes Haus stand, in das wir einziehen sollten. Es war noch bewohnt von Deutschen Plennis, die wir ablösen sollten. Die Deutschen wollten aber das Haus nicht räumen und verhandelten mit den Russen, um die Ablöse zu verhindern. Wir standen vor dem Haus im Freien und froren. Nach längerer Zeit führte uns Samatschuk wieder zurück und wir wurden in einer Semljanka, wo sich die russischen Soldaten bereits auf ihren Pritschen zum schlafen hingelegt hatten. Davor stand ein riesengroßer viereckiger Tisch, um den wir uns platzierten um die Nacht zu verbringen. Da sah ich eine russische Ziehharmonika. Die nahm ich auf und spielte das russische Volkslied "Suliko". Die Wirkung, die ich mit diesem Lied hervorrief, war verblüffend. Dir russischen Soldaten setzten sich auf und starrten mich erstaunt an. Das hatten sie nicht erwartet. Ich hatte mich mit diesem Lied in die Herzen der Russen gespielt. Seitdem wurde ich von ihnen nur mehr Suliko gerufen und wurde mit den besten Aufgaben betraut.

Am nächsten Tag zogen wir wieder vor das Kolchosenhaus und sahen zu, wie die Deutschen mit finsteren Blicken einer nach dem anderen mit ihrem Gepäck aus dem Haus kamen. Da staunten wir aber als wir sie sahen. Alle waren bestens ernährt, sahen aus, als ob sie vom Urlaub kämen. Jeder hatte neue Uniformen. Wir wussten nicht woher sie diese hatten. Nun durften wir in das Haus einziehen. Es war vollkommen leer geräumt. Alles hatten unsere Vorgänger mitgenommen was nicht niet- und nagelfest war. Nun begannen wir uns einzurichten. Das Haus hatte eine Küche und 3 Räume. 2 kleinere für je 6 Personen und ein größerer für 8 Personen. Im Haus war ein Feldtelefon, das mit der Kommandantur verbunden war. Unsere Aufgabe war, jeweils eintreffenden Waggons zu entladen und in den Magazinen zu stapeln. Es gab 3 Stück davon. 2 Verpflegungs- und 1 Bekleidungsmagazin. Die Waggons kamen teils aus Deutschland und waren voll von deutschen Uniformen, sowohl von der Wehrmacht als auch von der Partei. So war es keine Seltenheit, dass man manchmal in Vologda einen Mann in einem deutschen Parteirock sah. Teils kamen sie aus Archangelsk, wohin die Amerikaner im Rahmen des Pacht- und Leihgesetzes Lebensmittel nach Russland verschifften. Dort wurden sie in Waggons verladen und in die Base 83 geliefert, wo wir sie entluden. Sie waren für die Versorgung der Kriegsgefangenenlager in der Region Vologda bestimmt, die dort in großer Anzahl konzentriert waren. Jetzt wussten wir, wieso unsere Vorgänger so gut genährt und ausgerüstet waren und wieso ein solcher Run bei der Suche nach der Ablöse dieses Kommandos war.

Als wir das erstemal eingesetzt wurden sind wir unter Führung von Samatschuk zur Base marschiert und auf Wunsch von Samatschuk sangen wir ein Lied. Wir wählten das Südtiroler-Lied. Auf der Base erwarteten uns bereits mehrere Waggons mit Mehlsäcken beladen. Wir begannen nun mit der Entladung und trugen die Säcke ins Magazin, wo sie vorerst, jeweils 6 Stück, gewogen wurden. Sascha, der Magazineur, wog sie unter Kontrolle des übergebenden Bahnbeamten ab, und wir trugen sie dann auf den Stapel. Obwohl so ein Sack nur 50 kg gewogen hat, merkten wir bald, dass unsere Kräfte durch die Lagerverpflegung doch begrenzt waren. Das merkte auch Sascha, der uns anfangs beschimpfte und den Deutschen nachweinte. Wenn ein Sack aufplatzte nahmen wir einen Mund voll und steckten immer wieder etwas in die Tasche. Zu Hause angekommen leerten wir unserer Taschen aus und übergaben sie unserem Koch. So besserten wir unsere Verpflegung auf. Genauso machten wir es bei ankommenden Reis-Erbsen- oder Hirsewaggons oder was immer gerade hereinkam. So dauerte es nicht lange, bis wir genauso stark waren, wie die Deutschen. Mit Sascha hatten wir eine stillschweigende Vereinbarung wonach im Magazin für uns alles tabu war, was jedoch im Waggon passiert war ihm gleichgültig.

Ein besonderes Ereignis war die Entladung eines Zuckerwaggons. So ein Sack wog 100 kg und manchmal sogar mehr, da Zucker hygroskopisch ist und oft Feuchtigkeit angezogen hat. Wir waren in der Zwischenzeit schon so stark geworden, dass ein Pullmanwaggon Zucker kein Problem für uns war. Wir erregten sogar die Bewunderung eines gerade vorbeigehenden Russen, der bemerkte "Kameradi nosit schto Kilo Meschki".

Einmal kam ein Lkw aus einem Mannschaftslager mit 3 Mann, die Mehl für ihr Lager holten. Als wir sahen, dass sie nicht in der Lage waren, die Säcke auf den Lkw zu laden, sprangen wir ein. Im Nu war der Lkw beladen. Die Kollegen aus dem Lager waren uns sehr dankbar.

Wir hatten ein ziemlich freies Leben. Der russische Soldat, der uns bewachen sollte, saß nur die ersten Tage mit seinem Gewehr bei uns herum und fadisierte sich. Eines Tages sagte er zu mir: "Suliko, dort ist das Gewehr, auf dem Bord liegen die Patronen, ich gehe jetzt zu meinem Mädchen". Auf meine Frage, was wir tun sollen, wenn jemand kommt, um uns zu attackieren, meinte er lächelnd: "Dann sperrt die Türe zu und hält ihn euch mit dem Gewehr vom Leibe".

Als wir einmal nach getaner Arbeit von der Base heim gingen, kamen 2 singende Mädchen, die hinter uns auf der Straße denselben Weg gingen wie wir. Wir drosselten unsere Schritte und ließen die Mädchen immer näher kommen. Begannen wir ein Gespräch und setzten unseren Weg gemeinsam fort. Bevor wir in das Dorf kamen, wollten wir uns verabschieden, da wir die Mädchen nicht kompromittieren wollten. Wir haben geglaubt, sie bekommen Schwierigkeiten, wenn man sie mit uns sieht. Da haben wir uns aber geirrt. Wir hatten sogar das Gefühl, dass sie stolz waren, mit Deutschen Offizieren gesehen zu werden. Nina, so hieß das eine Mädchen, hat mich eingeladen, sie in ihrem Haus im Nachbar Dorf zu besuchen. Einwände, was wohl ihre Eltern sagen würden, ließ sie nicht gelten. So sagte ich zu und suchte sie in ihrem Wohnhaus auf. Mit Herzklopfen klopfte ich an. Ihre Mutter öffnete mir, ich fragte nach der Nina. Nina hatte offensichtlich schon von mir erzählt. Man bat mich in die Wohnstube, dort begrüßte ich ihren Vater, man bot mir Tee an und unterhielt sich soweit es ging mit mir. Nina, deretwegen ich gekommen bin, saß abseits und hörte nur zu. Da verabschiedete ich mich von den Eltern, die Mutter sagte, Nina solle mich hinausbegleiten, was sie auch gerne tat, denn wir mussten durch einen Vorraum gehen, der im dunklen lag. Dort setzten wir uns und herzten und küssten uns bis die Mutter plötzlich an der Tür klopfte und sage: "Nina es ist genug".

Das freie Leben dauerte aber leider nur ein halbes Jahr. Am 2. Juni 1946 mussten wir unser gemütliches Haus verlassen und in das Lager 7158/6 in Vologda einziehen. Die Arbeit auf der Base machten wir zwar weiter, fuhren aber nach der Arbeit wieder ins Lager zurück. Nicht jeden Tag brauchte man uns in der Base. Wir wurden Zwischendurch auch zum Hausbau eingesetzt. So arbeiteten wir teils auf der Base, teil bauten wir Wohnhäuser in Vologda. Bis es eines Tages hieß, wir kommen nach Hause. Stalin habe der Österreichischen Regierung zugesagt, als Weihnachtsgeschenk werden die Österreichischen Gefangenen entlassen. Am 6. Dez. 1946 wurden die Österreicher tatsächlich in das Lager 7158/1 nach Tscherepowetz transportiert. Wir waren in Hochstimmung. Die Arbeit hat uns trotz der Kälte nichts ausgemacht im Bewusstsein, wir kommen bald nach Hause. Wie ein Schlag traf uns die Nachricht, dass wir statt nach Hause in ein anderes Lager versetzt werden. Der Lagerleiter von Tscherepowetz war in Moskau und hat es mit dem Argument durchgesetzt er brauche die Gefangenen noch zur Arbeit. Am 3.Jänner 1947 ging es nun in eine anderes Lager nach Suda.


Lager Suda 158/8

Statt der Entlassung in die Heimat wurden wir in das uns noch unbekannte Lager in Suda transportiert. Es war der 3. Jänner 1947. Es herrschte bittere Kälte. Mitten in einem tiefverschneiten Wald ist das Lager gelegen. Als wir ankamen war es schon finster. Elektrisches Licht gab es nicht. Im trüben Licht einer Kerasinfunzel belegten wir die Baracke. In der Mitte der Baracke stand ein Kanonenofen, der uns bescheidene Wärme spendete. Wir, die wir auf der Base verwöhnt waren, waren erschüttert über diese Unterkunft. Nachdem wir noch eine Suppe bekamen, legten wir uns auf unsere Pritsche und schliefen gleich ein.

Am nächsten Tag sahen wir dann was uns bevorstand. Wecken um 5 Uhr. Zum Frühstück gab es eine Suppe. Um 6 Uhr standen wir vor dem Lagertor, wurden abgezählt und dann ging es zur Arbeitsstätte, die wir nach 1,5 Stunden Marsch erreichten. Unsere Aufgabe war Holzschlagen. Die Norm war 2 Raummeter. Dazu gehörte das Baumfällen, Entästen, in 2 Meter Länge schneiden, stapeln und die Äste einsammeln und verbrennen. War man fertig hat man sich ans Feuer gestellt und gewartet, bis der letzte mit der Norm fertig war. Das war oft bis erst am Nachmittag. Hungrig marschierten wir dann 1,5 Stunden wieder ins Lager zurück. Denn erst dort gab es wieder etwas zu essen. Einen Kascha als Mittagessen und die obligate Suppe am Abend. Beides auf einmal. Todmüde fielen wir auf unsere Pritsche.

Solche Arbeit haben wir noch nie gemacht. Anfangs fiel sie uns sehr schwer, obwohl wir körperlich dank der Base 83 noch sehr gut beisammen waren. Das änderte sich aber bald. Es war interessant. Wir von der Base bauten rascher ab, als die, die schon immer eine Lagerkost gewohnt waren. Als einmal meine Brille kaputt ging, änderte sich für mich das Lagerleben. Ich war kurzsichtig und hatte 5,5 Dioptrien. Man hatte mit etliche Brillen vorgelegt, die aber alle nicht passten. So wurde ich vom Holzfällen befreit und kam zu den Korbflechtern. So lernte ich das Flechten von großen Körben. Zuerst mussten wir die Zweige sammeln, die im Frühjahr voll Saft und geschmeidig waren, bevor wir unsere Norm erfüllen konnten. Bei jeder Arbeit gab es eine Norm zu erfüllen.

Als ich mich beim Korbflechten einmal in den Finger schnitte, bekam ich eine Flegmone. Die Wunde begann zu eitern. Im Revier waren 2 Ärzte. Ein Chirurg und ein Anfänger. Leider operierte mich der Anfänger. Als er den Finger aufschnitt verletzte er die Sehne, die er dann mit der etwas zynischen Bemerkung, Pech gehabt, herausschnitt. Jetzt war ich ganz arbeitsunfähig.

Bei einem Appell wurde bekannt gegeben, dass für die besten Arbeiter ein Urlaub vorgesehen ist. Da staunte ich nicht wenig, als ich, der wegen den eingebundenen Hand arbeitsunfähig war, plötzlich in den Urlaub geschickt wurde. So trat ich am 1. Juni 1947 meinen einwöchigen Urlaub an. Ich wurde aus der Baracke in einen Einzelraum gleich neben der Küche verlegt. Das Zimmer hatte ein richtiges Bett, das mit einem weißen Leintuch überzogen war. Das Essen bekam ich auf Tellern von der Küche serviert. Aber was für ein Essen. Das war nicht die übliche Lagerkost. Es war eine Küche für die Privilegierten, die sich nichts abgehen ließen.

Am nächsten Tag, den 2. Juni feierte ich meinen 25. Geburtstag. Es war ein Sonntag, so dass mich meine Landsleute besuchen konnten. So feierten wir in meinem Zimmer und schwelgten in Erinnerung an die Heimat, die wir bald wieder zu sehen hofften.

Kurz darauf verließen wir Suda und kamen zurück nach Tscherepowetz, von wo wir am 25. August an die sowjetische/ungarische Grenze ins Lager Marmaros Sziget kamen. Nach 3 Tagen kamen Österreichische Waggons, mit denen wir nach Wiener Neustadt gebracht wurden um dort endgültig entlassen zu werden.

Ernst Kausel
Wien


Lebenslauf von Ernst Kausel

Erika und Ernst KauselKommerzialrat Dkfm Ernst Kausel wurde am 2. Juni 1922 geboren. Nach der Matura wurde er 1940 zum Militär einberufen. Seinen Kriegseinsatz erlebte er in Russland an der Ostfront. Nach drei Jahren in russischer Gefangenschaft inskribierte er 1947 an der Hochschule für Welthandel. Nach einem bewegtem und erfolgreichen Berufsleben in der Papierindustrie zog er sich 1984 aus dem aktiven Berufsleben zurück.

Bis heute ist sein Leben durch die aussergewöhnlich innige und harmonische Beziehung zu seiner Frau Erika geprägt, die wesentlich zu seinem Werdegang beigetragen hatte.

Kategorie: Erinnerungen von Kriegsgefangenen | Hinzugefügt von: Anatoli
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