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Elmar Ullrich: Lager 7150 Grjasowez, Gebiet Wologda, 1943 - 1948 (Teil 2)
04.06.2013, 22:25

Andere Nationalitäten im Lager

Eine Gruppe spanischer Kriegsgefangener ("Blaue Division") war bis März 1944 im Lager, sie wurden dann nach Tscherepowez abtransportiert. Unter ihnen war Eladio, der "König der Taschendiebe", der den russischen Staat beklaute, wo er konnte. Nie wurde er erwischt. Ungarische und rumänische Kriegsgefangene waren von Anfang an da, unter ihnen der "Rotbart" Sandro, ein äußerst geschickter Mechaniker. Später kamen auch Finnen hinzu. Unter den Kgf. waren auch ein Slowake, einige Tschechen, ein Däne, ein estnischer SS-Offizier, 1944 war eine größere Gruppe von Rumänen im Lager, aber nur für kurze Zeit. 1945 kamen sogar einige Jugoslawen ins Lager, auch sie verschwanden bald wieder. Länger blieben ungarische Stabsoffiziere hier, sie wurden 1947 repatriiert, hatten aber große Sorge vor der Zukunft. (Einige von ihnen fielen tatsächlich dem berüchtigten Rakosi-Regime zum Opfer.) Sie hatten den Russen gegenüber eine großartige, beispielhafte Haltung; sie ließen sich nicht "auseinanderdividieren" wie die Deutschen.

Es gab auch einen Franzosen im Lager (1946 repatriiert), einige Italiener, und 1947 einige Polen, unter ihnen die Konzertsängerin Frau Irene Sawadska mit zwei Kindern.


Einzeltransporte

Seit 1947 wurden bestimmte Kgf. plötzlich zum Einzeltransport aufgerufen. Sie wurden zuvor vernommen (manchmal auch nicht) und über ihr Schicksal im Unklaren gelassen. Meist wurden sie später zu Zwangsarbeit verurteilt, weil sie einer "belasteten Division" angehört hatten. Solche Einheiten wurden pauschal vom General bis zum Grenadier verurteilt.


Lagerauflösung Juni 1948

Die Stabsoffiziere kamen direkt ins Lager Tscherepowez-Bogorodskoje (Lg.7437), die anderen Offiziere entweder ins gleiche Lager oder nach Wytegra zum Kanalbau (zwischen Ladoga-und Onegasee). Vor allem SS-Angehörige wurden dorthin transportiert. Nach Auflösung der anderen Lager (Makarino, Sokol, Petschatkino, Wologda, Tschaika) im Sommer 1948 kamen alle Kgf. ins Lager Tscherepowez-Bogorodskoje (7437).

Die ersten größeren Transporte in die Heimat gingen im Sommer 1948 ab, einer von Sokol aus, ein weiterer im Juli/August 1948 von Tscherepowez. Im März 1949 folgte ein weiterer Transport von Tscherepowez aus, der letzte ging im September 1949 (am 21.09.) Die Stabsoffiziere wurden in ein Lager in der Gegend von Kinjeschma transportiert, von wo aus sie im Dezember 1949 heimkehrten, soweit sie nicht verurteilt wurden.

Das Schlimmste an der russischen Gefangenschaft war neben dem Hunger und den manchmal recht schwierigen Lebensverhältnissen die UNGEWISSHEIT. Wir waren soweit, einen Zuchthäusler zu beneiden - dieser weiß ja, wann seine Strafe verbüßt ist. Wir wurden darüber im Unklaren gelassen. Ein russischer Major äußerte sich zynisch: "Alle werden heimkehren, die einen früher (die, denen wir trauen können), die anderen eben später, vor allem solche, welche die politische Entwicklung stören können."


Ergänzungen und Nachträge

1. Diese Wahl war wirklich frei und geheim und entbehrte nicht einer gewissen Komik. Der Humor lebte immer noch - "Humor ist, wenn man trotzdem lacht!" und ein Spaßvogel schuf folgenden Werbespruch:
Wollt ihr den Kascha dicker, dann wählt Fricker!
Wollt ihr bald heeme, dann wählt Schöne!

2. Die Genannten waren später im Produktionsbüro des Lagers tätig. Eschborn kam ins Lager Sokol, von wo aus er 1948 heimkehrte. Er ist heute Ordenspriester (P.Hildebrand). Es ist auch interessant, daß die Offiziere einen Ehrenrat gründeten, der bis 1945 Bestand hatte.

3. Schon von Anfang an hatte das Aktiv des BDO/NKFD in Verbindung mit der deutschen und der russischen Lagerleitung danach gestrebt, das gesamte Lagerleben zu organisieren und so unter Kontrolle zu halten. Zu Ehren der Aktivisten muß gesagt werden, daß sie sich intensiv für die Kgf. einsetzten und manche Mißstände abstellten (Photograph Heinberg aus München).

Was den Straßenbau betrifft, hier war das Produktionsbüro zuständig. Die Vermessung und der Bau wurden in guter Zusammenarbeit mit russischen Ingenieuren durchgeführt. Beim Brückenbau über die Nurma bei Basargino wurden die ältesten Einwohner nach Hochwasser und Höchststand der Nurma befragt, es ging um die Höhe der Brücke.

4. Das Lager 7437 Tscherepowez- Bogorodskoje ("Gottesgebärerin") lag auf einer Anhöhe über dem Fluß Scheksna (hier durch Stau 3 km breit), etwa eine Dreiviertelstunde von der Stadt entfernt. Tscherepowez liegt wie eine "Spinne im Kanalnetz" und sollte Mittelpunkt der Aluminium-Industrie werden (Bauxit aus Tichwin sollte verhüttet werden), alles war im Aufbau, im Plan "Sewjer-Projekt". In der Nähe des Lagers gab es beim Dorf Koschta einen Hügel, ob aus Bauxit oder Lehm war die Frage. Jedenfalls wurde in dieser Gegend sehr viel gebaut (Fertighäuser). Früher gehörten zum Hauptlager mehrere Außenlager, wie das Makarino-Lager 7158 am "Schmiedehafen", das Lager Tschaika am Weißen See (Bjeloje Osjero) und weitere kleinere Lager wie Scheksna und Schelomowo (Eisenbahn-Lager). Diese kleinen Lager wurden 1947/48 alle aufgelöst.

5. Während des Krieges lieferten die Amerikaner unter anderem auch Fleischkonserven. Auch die Kgf. bekamen davon einiges ab. Es waren meist Firmen aus Chicago, darunter vor allem die Firma OSCAR MEYER ("Little Oscar"). Doch nicht nur der Inhalt war von Bedeutung (die Rationen waren sehr klein), sondern die Blechdosen waren ein wichtiger Rohstoff für alle möglichen Gegenstände. Es ist erstaunlich, was die Kgf. alles daraus herstellten. Es entstand die sogenannte "Oscar-Meyer-Kultur".

Zum Punkt 3 (Fortsetzung)
Diese Organisation sah etwa folgendermaßen aus:

  • Deutsche Lagerleitung:
    Kriegsgerichtsrat SCHUHMANN, seine Helfer Olt.Elmar STREWE und Olt.STROBEL. In jeder Baracke gab es eine Art Kompanieführer, den "Barackenstarschi", der eine genaue Übersicht über die Belegung hatte und täglich die Belegstärke melden mußte. Dieser "Starschi" (russ.Wort für "Ältester") hatte noch Helfer zur Seite, einen Politobmann und einen Kulturobmann, sowie einen Zahlmeister, der für Bekleidungsfragen zuständig war.
  • Produktionsbüro:
    Major v.FRANKENBERG UND PROSCHUTZ,später Hauptmann SPIEKERNAGEL, Major BÜCHLER und Stabsflugführer TRENKMANN. Das Produktionsbüro regelte den Arbeitseinsatz in Zusammenarbeit mit der russischen Lagerleitung (Olt.Alexandrow)
  • Technisches Büro:
    Hier handelte es sich um Ingenieure und Architekten, die bei der Planung von Projekten mitwirkten. Leitung: Olt.BÖRCKE (ehemaliger Arbeitsdienstführer). Es wirkten mit u.a.: Olt.BÖHLER, Lt.SCHÄFERLEIN, Olt.DEMMEL, Lt.NÄBAUER.
  • Kulturelle Betreuung:
    Kulturgruppe unter Leitung von Hptm. Kurt MÜHLMANN. Hier waren alle Schauspieler und Musiker zusammengefaßt.Dann gab die Abteilung Referenten (Kurse,Vorträge).
  • Politaktiv:
    Leitung BDO/NKFD, später der Antifa. Leitung Jan.-März 1944 Major SCHÜLZE, danach Hptm.Helmut BURMEISTER, Dr.Konrad SCHÖNE, Lt.Otto KELLERT und schließlich Lt.Rudolf BARBARINO.
  • Jugendaktiv:
    Gegründet im Juni 1947, unter den Gründungsmitgliedern war auch Schwester "Vitaminchen". Teilnehmer der Gründungsversammlung im Club waren jüngere "Plennies", bis zu 25 Jahren.

Künstlerisches Schaffen der Kriegsgefangenen

Schon im Spätherbst 1943 fanden sich verschiedene Künstler, die eigene Werke schufen. Zunächst waren es der Maler Lt.Konrad NIETZSCHE, die Dichter Lt. Werner SCHMIDT (ab 1945 genannt "Meister Zachus"), Lt.Johannes WINKLER, dazu kamen die Musiker Lt.Fritz POTH und Lt.Alfred IGNOR (Violine und Gitarre). 1944 kamen neue Künstler hinzu, so der Konzertgeiger Hpfm.Kurt MÜHLMANN, die Schauspieler Olt.Siegfried GÖHLER und Olt.Klaus SCHRADER (dieser war in den fünfziger Jahren Theaterintendant am Stadttheater Würzburg), der Holzbildhauer Lt.Hans BIEDINGER. Letzterer fertigte sehr schöne Schnitzarbeiten aus Birkenholz. Seine Werkzeuge: ein abgebrochenes Rasiermesser, ein breitgeklopfter Nagel, ein Glasscherben und ein kleiner Holzhammer. Zwei weitere Bildhauer waren Hptm.KOST sowie 0lt.MEHLAN, ein alter Stalingrader. Sie waren vor allem Keramiker. Ihre Werke wurden in der Lagertöpferei (seit 1945/46) gebrannt. Leitung dieser Töpferei: Olt. VON STETTEN.

1945/46 bildete sich ein Arbeitskreis der Dichter im Lager, hier waren vor allem "Meister Zachus", Olt. FABER, Lt. WINKLER und vor allem Lt. Fritz KUHN tätig. Oft erschienen ihre Gedichte in einer "Wandzeitung". Unentbehrlich als Juror war der Literarhistoriker Olt.Dr.Helmut PREUSS (Privatdozent für deutsche Literatur).

Als Konzertsänger traten auf: Kriegspfarrer Karl HALLER, Hptm. Alois WEINZIERL ("Loisl") und Major TOELKE. Dazu kamen später noch zwei hervorragende Sänger, deren Arbeit sich mehr auf kirchlich-religiöse Musik beschränkte. Es war Olt.Frieder TEGELER und ein anderer, auf dessen Namen ich mich nicht mehr entsinne.

Zu den Malern stieß nach 1944 Hptm. Willi SCHÜTZ, der später zusammen mit anderen Malern und Bildhauern eine Art Atelier im Haus 12 (Steinhaus) hatten.

Zwar keine Künstler, aber im Lager von größter Bedeutung waren die Uhrmacher. Sie fertigten gut gehende Uhren aus Holz und "Oscar-Meyer-Blech", sogar eine Turmuhr, die im gesamten Lager sichtbar war. (5)

Die Schauspieler- und Sängergruppe bestand anfänglich aus wenigen Initiatoren, hier waren als Pioniere neben "Meister Zachus" noch Lt. Jupp EUL und Lt. Matthias HAAS tätig (beide traten wiederholt in "Bunten Abenden" als Komiker auf). Später waren neben den Genannten noch Siegfried GÖHLER, Klaus SCHRADER, Charly HEITMANN, Freddy IGNOR, Willy KNOPP (er war der Humorist und Conferencier), Hans EYDT, Herbert BENSCH, und Karlheinz QUADE (Akkordeonspieler).

1945 kam der Filmmusiker Lt. Hans CARSTE ins Lager (er hatte an die 20 Filme vertont und bekannte Schlager geschaffen, wie "Peter, Peter, wo warst du heute Nacht", "Lebe wohl, du kleine Monika", "Küß mich, bitte, bitte küß mich", "Hallo, wie wärs mit einer Fahrt ins Glück?" u.a. Carste war auch ein glänzender Pianist. Er gab dem musikalischen Leben im Lager neuen Auftrieb und schuf eine Reihe neuer Werke, wie "Die rote Nelke", "Ein Lump mit Herz", "Einmal wieder jung sein" und das Lied "Duzhenka". Besonders angesprochen fühlten sie die Plennies durch das Abendlied "Gute Nacht", meisterhaft instrumentiert und gesungen.

1944 entstand im Lager zunächst ein Sängerquartett (Lt. Charlie STELKENS, Lt. Hans EIDT,Lt. Hermann LANDWEHRMANN, Lt. Martin MÜCKE). Es wurde später erweitert auf ein Sextett. Daneben entstand ein Doppelquartett für Volkslieder und klassische Musik unter Leitung von Lt. Siegfried KIRSCHENMANN - Höhepunkt dieser Sangesgruppe war die gesangliche und musikalische Darbietung des Walzers "An der schönen blauen Donau" (Satz von dem Salzburger Musikmeister Prof. Leo ERTL ("Poldl").

1943 im Winter entstand der erste Lagerchor unter Leitung des Wiener Kapellmeisters Ferdinand HAWEL, der bis Sommer 1944 bestand und dann auf andere Art weitergeführt wurde. Als Chordirigenten wirkten noch Lt. ZEUTSCHEL und Lt. Hans POTHMANN ("Puschkin"), letzterer wirkte später auch als Gitarrist mit. Auch Wolfgang PUTH und der Tiroler Lt.Ferdl THOMASI waren ausgezeichnete Gitarristen.


Künstlerisches und handwerkliches Schaffen

Es ist erstaunlich, was hier alles geleistet wurde. Ein wichtiger Rohstoff war zunächst "Oscar-Meyer-Blech" (es stammte von amerikanischen Konserven, die während des Krieges geliefert wurden. Wie gesagt, wurden sogar Uhren und viele andere Gegenstände, darunter sogar ein Abendmahlskelch hergestellt ("Oscar-Meyer-Kultur").

Aus Birkenholz und Wacholderwurzeln wurden Schnitzarbeiten gefertigt, aus Ton wurden nicht nur Geschirre gebrannt, sondern z.B. auch Schachfiguren hergestellt (Dunkelfärbung mit Kaliumpermanganat).

Auch die Russen waren an diesen Dingen interessiert. Gelegentlich fand im Speisesaal eine Ausstellung über handwerliches und künstlerisches Schaffen statt. Ein besonderer Holzbildhauer war Lt. BIDINGER ("Gipsy"), der auch Madonnenbilder fertigte.

Als Kunstkritiker wurden bestellt: Hptm. Dr. VON WITTGENSTEIN. und Olt. Dr. BOLEWSKI.


Handwerkliche Lagerbetriebe

Es gab zunächst Friseure, Wäscher und Bügler.

In der Küche wirkte als Chefkoch Hannes REIMER. Außerhalb der Lagerzone arbeiteten Fachleute im Kfz-Park und in der Elektrostanzia (Lt. Schulze, Olt. DRESEL). 1945 tat sich ein kleiner Uhrmacherbetrieb auf (Lt.SCHOSTEK). In der "Banja" (Sauna) waren meistens ehemalige Flieger beisammen, u.a. Oberst GRAF (Brillantenträger), Lt.HAMER, Olt. KROLLPFEIFER, Major HARTMANN (über 300 Abschüsse).

Im Lagerlazarett wirkten verschiedene Kgf. als Sanitäter. Es gab noch eine Teeküche. In einer neuen Baracke (erbaut 1945) arbeiteten Stellmacher, Flachsspinner (Seiler) und die "Tornisterzertrümmerer" unter Leitung von Oberstlt. VON LINDEINER-WILDAU ("Wildsau"). Es gab auch eine Schuhmacherei und eine Schneiderei. Die "Tornisterzertrümmerer" zerlegten alte Wehrmachttornister und sortierten die Einzelteile (Riemen, Schnallen, Decken) zu anderweitiger Weiterverwendung.

Ein Problem war das Schuhwerk. Da mußten Holzsohlen verschiedener Größe gefertigt werden, es gab dafür eine eigene Brigade. In der Lagerschuhmacherei wirkte zunächst ein russischer Meister, zusammen mit einem Rumänen, etwa bis Sommer 1945. Auch eine Lagerschreinerei bestand - später in die neue Baracke verlegt. Es gab unter den Plennies ausgezeichnete Schreiner, die oftmals für russische Offiziere arbeiteten (es gab auch "Schwarzarbeit"). Eine Desinfektionsbrigade unter Leitung des Russen BALKOW (wir nannten ihn "Towarisch Desinstruktor", er war Desinfektor und Instruktor) sorgte für Ordnung bei den Latrinen (vor allem im Winter ein Problem, wenn die Exkremente steinhart gefroren waren) - hier arbeitete die sogenannte "Scheißhausbrigade". Der Inhalt der Latrinen wurde als Dünger verwendet.


Ende des Lagers 7150 Grjasowez

Das Lager wurde im Sommer 1948 aufgelöst, die Insassen kamen, wie bereits gesagt, ins Lager Tscherepowez-Bogorodskoje, das bis Ende 1949 Bestand hatte.

Oberst SYRMA trat bald darauf in Ruhestand und kehrte in seine Heimat (Don-Gebiet) zurück. Er ist angeblich gegen Ende der fünfziger Jahre verstorben. Ein alter Kosak, hervorragender Soldat und Offizier - aber gegen die "Blauen" konnte und durfte er nichts ausrichten - auf die Folterungen etc. hatte er nicht den geringsten Einfluß. Auch Majorarzt TSCHESNOKOW ist in den sechziger Jahren verstorben.

Politinstruktor Josef KLINGBEIL kehrte nach 1948 nach Deutschland zurück und wirkte mit beim Aufbau der DDR. Zuletzt als Rentner leitete er die Politbetreuung in einem SED-Altenheim. Er starb 1968, bei seiner Beerdigung waren zahlreiche ehemalige Plennies aus West und Ost dabei. Er ist in Berlin beigesetzt. Zahlreiche Kränze wurden von ihnen gespendet.

Schwester "Vitaminchen" Kapitolina PUSCHMENKOWA meldete sich 1997 wieder bei Wolfgang Puth - sie ließ ihn übers Rote Kreuz suchen. Es geht ihr nicht gut - sie ist verwitwet, krank, lebt in Donezk (ehemals "Stalino") und muß von einer kleinen Rente leben. Ehrensache, daß die alten Kameraden helfen! Sie kommt nun auf ihre Einladung im Juni 1998 nach Deutschland.

Gedächtnisprotokoll
gefertigt Mai 1998
von Dr. Elmar Ullrich


Nachtrag

Zur Sprache der Kriegsgefangenen in Rußland

Russizismen: Der Kriegsgefangene bezeichnete sich selbst als "Plenny", nach der russischen Bezeichnung "Wojennoplenny". Verschiedene Einrichtungen wurden oft mit dem entsprechenden russischen Wort bezeichnet, z.B. "Elektrostanzia" (Elektrostation), "Banja" (Bad, Sauna), "Uprawlennia" (Lagerverwaltung). Befehle der Lagerleitung wurden als "Prikas" bezeichnet. Die Arbeitseinteilung erfolgte in "Brigaden" (russusch "brigady"), der Anführer war der "Brigadir", der leitende russische Meister, Agronom oder Ingenieur war der "Natschalnik" (Bedeutung: Initiator), die Arbeitsnorm setzte der "Normirowschtschik" fest. Die "Rabotschiki"(Arbeiter, Wort gewöhnlich ironisch gebraucht) erfüllten ihre "Norma" in Prozenten. Die Leistung und Bezahlung wurde schriftlich im "Narjad" festgehalten, das im Lager abgeliefert werden mußte. Die Entlohnung erfolgte gemäß "Rasrjad" (Tarif). Der "Älteste" wurde als "Starschi" bezeichnet (z.B. "Barackenstarschi"). Da die russische Sprache nur in sehr beschränktem Ausmaß Wortzusammensetzungen bilden kann, gab es viele "Akü-Wörter", die z.T. auch von den Plennies gebraucht wurden, wie "Natschsan" (Chef der Sanitätsabteilung), "Kolchos" (Kollektivwirtschaft), "Sowchos" (Staatsgut), "Diamat" (dialektischer Materialismus, nur selten gebraucht).

Lehnübersetzungen: Bezeichnungen, wie "Politabteilüng", "Politaktiv", "Jugendaktiv", "Produktionsbüro" sind gelungene Lehnübersetzung für Dinge, die den Plennies zuvor unbekannt waren. Der "Älteste" (Lagerälteste, Aktivälteste), eine Übersetzung des russischen Wortes "Starschi". Für gute Leistungen erhielten die Arbeiter "Prozentebrot" oder "Prozentesuppe".

Volksethymologien: Aus "Sdrawstwuitje" (Seien Sie gegrüßt) wurde "Drahtstiftle", aus "Do swidania" (Auf Wiedersehen) wurde "Großbritannia". Chljeb" (Brot) wurde gelegentlich als "Kleb" bezeichnet, weil es so kluntschig war. "Kotjolok" (Kesselchen, Kochgeschirr) verwandelte sich zu "Katalog". Der Natschalnik der Banja (russ. "Banjschik") wurde gelegentlich als "Panscher" bezeichnet. Es gab immer wieder einmal eine Volksethymologie, meist war sie nur kurzlebig.

Lageridiome: Sie waren zeitgebunden und hatte eine durchschnittliche Dauer von etwa einem halben Jahr. Für 1943 war typisch: "Zum Tragen kommen" (der Angriff, der Rückzug kommt zum Tragen). Dieser Ausdruck stammt offenbar von deutschen Kriegsschulen, etwa ab Juni 1943). 1944 hörte man gelegentlich: "Was brauchst du ..., der Hund hat auch nichts." 1945 "brach alles zusammen", 1946: "Da scheißts dünne aber kräftig!" (Anspielung auf Zustände in den Besatzungszonen; klang am schönsten auf Sächsisch). 1948/49 "spielte sich alles ab" bezw. "spielte sich nichts mehr ab". Es ist erstaunlich, diese Idiome waren nicht auf ein bestimmtes Lager beschränkt; selbst in weit entfernten Lagern tauchten die gleichen Idiome auf.

Schimpfwörter, Flüche: "Ihr Deutschen könnt doch gar nicht fluchen" behaupteten die Russen (aber auch die ungarischen Kameraden). Das "Götz-Zitat" war den Russen unbekannt, ebenso die analen Schimpfwörter, wie "Scheiße". Die russischen Flüche, von den Plennies häufig übernommen, waren meistens sexueller Art.

Neologismen: Das wichtigste Nahrungsmittel in Rußland ist neben der Kohlsuppe "schtschi" der "Kascha" (Hirsebrei). Kascha - die Plennies sagten nach österreichischem Vorbild "Kasch" und nannten jede Art von Brei so (Kartoffelkasch, Graupenkasch, Hirsekasch usw.). Als Gegenstück zu "Faschisten" bildete sich 1944 "Kaschisten" als Bezeichnung für Ehrgeizlinge und solche, die auf Grund ihrer politischen Aktivität eine gute Stellung im Lager hatten, z.B. in der Küche.


Zeittafel Lager 7150 GRJASOWEZ


1943 SpätsommerEinrichtung des Lagers (Mannschaften, Deutsche, Ungarn, Rumänen)
1943 Oktober-NovemberErste Offizierstransporte
1943 DezemberGrößerer Transport aus dem Raum Kursk
Schon in der Quarantäne intensive politische Schulung (Hptm.Worobjow)
Diskussion der Teheraner Konferenz (Roosevelt, Stalin, Churchill)
1944 JanuarNach Eintreffen von BDO-Gründungsmitgliedern aus Lager 27 (Krasnogorsk)
Bildung einer BDO-Initiativgruppe (Major Schulze)
1944 FebruarKesselschlacht von Tscherkassy-Korsun - sehr genaue Information über den Einsatz des BDO/NK (Frontpropaganda)
Vorführung zahlreicher russischer Filme, darunter eines Dokumentarfilms über eine Gerichtsverhandlung von SS-Offizieren in Charkow, welche Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hatten und ihre Hinrichtung. Originalton in deutscher Sprache.
1944 MärzEintreffen einer Delegation des BDO/NK im Lager (General Edler von Daniels, 0berst Czimatis, Major Hünnemörder). Anwachsen des BDO im Lager, Hptm. Burmeister wird Aktivältester.
1944 AprilAbtransport einer "Faschistengruppe" ins Lager Jelabuga.
1944 JuniNeue Transporte, von der Krim treffen ein.
Weitere BDO-Gründungsmitglieder treffen im Lager ein.
Freie und geheime Wahlen des Aktivältesten und seiner Mitarbeiter. Gewählt wurde nicht der vorgesehene Oberstleutnant Matzmohr, sondern Burmeister.
1944 JuliNeue NK-Delegation mit General Dr.Otto Korfes, Oberst Steidle, 0lt. Rücker, Major Hetz, Major Bechler und dem deutschen Emigranten Gustav Sobottka. Nur mäßiger Erfolg.
1944 Juli-AugustDas Lager füllt sich mit Kgf.der Heeresgruppe Mitte und Rumänien. Kriegsgerichtsrat SCHUHMANN wird Lagerältester.
1944 AugustNeuwahlen für den BDO-Aktivältesten, da Burmeister nach Moskau verlegt wird. Aus der Alternative Dr.Fricker-Dr.Schöne geht letzterer als Sieger hervor. Politische Schulung in BDO-Untergruppen.
1944 SpätsommerVor Einmarsch der Roten Armee in Ostpreußen Besprechung bei der Lagerleitung, darauf Bittgottesdienst (ökumenisch) im Speisesaal (angeblich auf russische Anregung).
1944 August-SeptemberDer "Krieg hinter Stacheldraht" erreicht seinen Höhepunkt (zuvor war er nicht besonders in Erscheinung getreten). Hauptgegner des BDO/NK: Major SIEMON, Major TRENDELENBURG, dazu eine große Zahl von Intellektuellen. Die Anhänger des "20. Juli" schließen sich dem BDO an, nach dem mißglückten Attentat auf Hitler - und nachdem Feldmarschall Paulus beigetreten war.
1944 OktoberNeue Delegation mit General Vinzenz MÜLLER, General Martin LATTMANN, Hptm. DOMASCHK, Hptm. FLEISCHER, Uffz.GRANDY, Gefr. Jakob ESCHBORN.
Lagerbesatzung etwa 4000 Offiziere bis zum Oberst einschließlich.
Reges kulturelles Leben im Lager.
1945 JanuarGewisser Optimismus der NK-Gegner infolge der Winteroffensive in der Eifel (Maschall v.Rundstedt) - danach Resignation. Kurzbesuch von Pfarrer KAYSER (kath.) und Konsistorialrat Dr.KRUMMACHER.
1945 Februar-AprilNach den letzten Rückzugsschlachten der Wehrmacht und den Erfolgen der Roten Armee und der aliierten Truppen mehren sich die Beitritte zum NK/BDO. Die Mitglieder tragen schwarzweißrote Ärmelschilder, ab Februar 1945 tragen die Österreicher rotweißrote Ärmelschilder.
1945 9. MaiTagesbefehl von Oberst SYRMA zum Kriegsende.
1945 JuniVerkündung der allgemeinen Arbeitspflicht für Offiziere bis zum Hauptmann einschließlich. Für Stabsoffiziere freiwillige Arbeit in Lagerbetrieben.
1945 Juni-JuliBeginn der intensiven Vernehmungen durch die "Blauen" - Suche nach Kriegsverbrechern. Schon vorher Abtransport einer kleinen Gruppe (Sonderführer WOLF, Major SONNEWALD), beide wurden später hingerichtet.
1945 NovemberAuflösung des BDO/NK, an ihre Stelle tritt die ANTIFA (Barbarino)
1945 DezemberDie Churchill-Rede in Fulton ("Eiserner Vorhang") schlägt wie ßine Bombe ein - Wendepunkt der Politik der Westmächte gegenüber der Sowjetunion. Im Lager überall eine gewisse Sorge (Einheit Deutschlands, Heimkehr)
1946 JanuarAllgemeine Versammlung, Aufforderung an die Kgf., ihnen bekannte Kriegsverbrechen und Kriegsverbrecher zu nennen. Darauf heftige Reaktionen im Lager, verschiedene Austritte aus der ANTIFA, sogar einige Aktivisten legen ihr Amt nieder.
1945/46 MärzErste Postverbindung mit der Heimat. Sehr reges kulturelles Leben, schön gestaltete Advents-und Weihnachtszeit.
1946 SommerStraßenbau Grjasowez - Moskau. Arbeit der Kgf. in Kolchosen und Sowchosen, beim Holzschlagkommando in Panowka und in der Stadt Wologda. Der deutsche Sportlehrer UMMINGER arbeitet als Fußballtrainer heim FC Dynamo Wologda. Der Major Gerd GROSSE zeigt den Russen, wie man mit Motorpflügen umgeht und wird als Bestarbeiter sogar in Radio und Presse genannt. Olt.MEHNERT (Schachmeister) besiegt den Gebietsschachmeister.
1946 JuniAuf Initiative von KLINGBEIL und dem Musiker Hans CARSTE entsteht ein großes Lagerorchester. Sehr reges Kulturleben, erste Sportveranstaltungen.
1946/47 WinterVier evangelische Geistliche mit Wohnsitz in der SBZ werden plötzlich repatriiert. Intensivierung der Vernehmungen, Folterungen. Verschiedene angebliche Kriegsverbrecher sehr lange in Haft unter unmenschlichen Bedingungen.
1947 JuniGroßer Transport von Kgf. unter Leitung von Olt.SCHARBERG ins Lager Moshajsk, westlich Moskau.
1947 SommerIntensivierung der Sportveranstaltungen (Fußball, Boxen, Schwimmen)
1947 JuliWeitere Transporte gehen ab nach SOKOL (Suchona ) zum Arbeiten im Papier-Zellulose-Kombinat
1948Gerichtsverhandlung im Lager, vier Kgf. werden wegen "Diebstahl an sozialistischen Eigentum" zu Zwangsarbeit verurteilt.
1948 SommerAuflösung des Lagers. Ein größerer Transport geht zunächst nach Sokol und wird von dort repatriiert. Der Rest der Lagerbesatzung kommt nach Tscherepowez bzw. nach Wytegra.

Die Lagerwäscherei

Sie wurde ursprünglich von Lt.SCHULTZ geleitet. Aber sie war 1944 dem starken Zustrom ins Lager nicht mehr gewachsen. Olt. HINTZE übernahm sie dann, ein "alter Zwölfender" (Reichswehr). Er verstand alles bestens zu organisieren. Ein Architekt Olt.RUPPEL schuf einen großen Anbau (Trockenraum, eigene Heizung, Lagerräume), alles in sehr hübscher Fachwerkbauweise. Die Wäscher hatten einen eigenen, sehr gemütlichen Tagesraum, wo sie sich in ihrer Freizeit aufhalten konnten. In der Wäscherei selbst arbeiteten zwei Brigaden (Olt. HEINCKE, Olt. FLAMMIGER), Sauberkeitskontrolle: Lt.KLAUSEN, Bügler: Lt.HABERER, Lt.BÜTTNER). Hintze verstand es meisterhaft, seine Leute zusammenzuhalten. Es gab interne "Bunte Abende", sogar ein kleiner Chor bildete sich. Der Zusammenhalt in der Gruppe war ausgezeichnet. Der Verfasser hat selbst zwei Jahre als Wäscher gearbeitet.

Dr. Elmar Ullrich
Gerbrunn

Kategorie: Erinnerungen von Kriegsgefangenen | Hinzugefügt von: Anatoli
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