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Elmar Ullrich: Arbeitseinsatz in Molotschnoje
04.06.2013, 22:48

Das Städtchen MOLOTSCHNOJE liegt etwa 16 km ostwärts von Vologda, unweit der Bahnlinie Vologda-Tscherepowez-St.Petersburg. Es ist bekannt durch seine große Fabrik für Kondensmilch und weiterer Molkerei-Erzeugnisse sowie durch seine Fachhochschule für Molkereiwesen und seine Meisterschule für Molkereimeister (Maslodjela).

Ich kam nach Auflösung des Lagers Sokol zusammen mit etwa 40 Mann im Juli 1948 nach Molotschnoje. Wir machten hier vor allem Bauarbeiten-Erweiterung der Meisterschule - und Wohnungsbau. Wir waren "unter uns", ein russischer Soldat kontrollierte uns nur gelegentlich. Uns ging es hier gut, denn wir waren halb frei und konnten gelegentlich Spaziergänge unternehmen. Wir konnten hier auch etwas verdienen, ein paar Rubel, und auch etwas dafür kaufen vor allem Brot, Kartoffeln, Quark, süße Milch (Pachta). (Am 17. Dezember 1947 war in der Sowjetunion Währungsreform Abwertung des Rubels l zu 10, das Hartgeld behielt seinen Wert und die Staatsanleihen wurden je nach Laufzeit 1: 7.5, 1: 5.5 umgewertet. Die öffentlichen Gelder 1: 1.) Mit dieser Währungsreform wurde auch die Bewirtschaftung der Lebensmittel aufgehoben und es ging uns Gefangenen etwas besser als im Lager selbst (in den Lagern wurden Kantinen eingerichtet, wo man auch etwas kaufen konnte, auch Artikel wie Seife, Bleistifte, Hefte zum Schreiben, Marmelade, kleinere Bücher und Schriften (meist mit politischem Inhalt). Das eigentliche Magazin hatte kein großes Warenangebot, da wurden manchmal geradezu unsinnige Dinge angeboten, wie Strohhüte, Wassermelonen u.a. - aber Dinge des täglichen Bedarfs, wie z.B. Zucker wurde nur selten angeboten (und dann gabt es große "Käuferschlangen") Wodka gab es, aber es war zu Stalins Zeiten hoch besteuert und nur an den Staatsfeiertagen (1. Mai und 5./6. November) fiel die Steuer weg. Aber die Auswirkungen auf die Bevölkerung waren schrecklich. Wir Gefangene waren an diesen Tagen im Lager eingesperrt.

Öfters waren wir am Bahnhof, um Waggons zu beladen oder zu entladen - das taten wir gerne, denn wir bekamen das verdiente Geld ausbezahlt und nicht das Lager. Wir hatten Lohntarife, wie ru&sische Arbeiter und das Geld (bis zu 450 Rubel) erhielt das Lager - was darüber war, wurde uns ausbezahlt. Doch da mußte man einen Arbeitsplatz haben und Spezialist sein, um seine Norm zu übererfüllen - viel sprang nicht heraus. Mit der Ausbezahlung gab es - Schwierigkeit, der Direktor Pawel Pawlowisch Plechanow sagte uns: Äto savisit ot banka - wann wir etwas erhalten, hängt von der Bank ab.

Unser Natschalnik hiess Baranow, er war ein freundlicher, korrekter Mann. Da gab es einen Ingenieur Sablukow, sowie einen Starschi-Ingenieur. Später war unser Betreuer Jewgeni Pawlowisch Plechanow, der Bruder des Direktors. Er war Starschi der Schlosser und Schmiede und ein seelenguter Mann. Er hatte aber eine böse Frau, die ihn selbst in unserer Gegenwart schimpfte und beleidigte.

Wir lernten auch einige Professoren kennen, wie den Biochemiker Salomon Borisowitsch Gelmann, die Mathematikerin Kalinina, den Biologen Tschebotarjow, den Englischlehrer Groboschilow. Ich verstand damals Russisch so gut, dass ich einem öffentlichen Vortrag von Prof.Tschebotarjow einigermassen folgen konnte - es ging um die Entstehung des Lebens im Sinne des dialektischen Materialismus. Dieser Vortrag war für 20 Uhr angesetzt - es kamen etwa 15 Hörer. Aber um 21.30 Uhr war in der gleichen Halle Musik und Tanz angesetzt und die vielen Teilnehmer störten den Vortrag derart, dass er bald beendet werden mußte. Die gleiche Halle wurde auch als - Kino-Raum verwendet, da liefen manchmal sehr gute Filme, auch deutsche Beutefilme, wie z.B. "Kautschuk" oder "Die Fledermaus" (Johann Strauss).

Die Bauarbeiten gingen rasch voran, es arbeiteten drei russische Mädchen mit uns, Zoja, Klawa und Rymka Sokolowa, letztere von uns als "Ljaguschka" bezeichnet, worüber sie sich sehr ärgerte. Ihre Antwort darauf: "Krysa! Ratte! Idti Myschonok!" Nur leider hat ganz Molotschnoje sie als "Ljaguschka" bezeichnet, als "Ljagoschjonok"- Fröschchen.

Es gab da manchmal Dinge, die geradezu grotesk waren. Ein Beispiel: In einem Neubau mußten Öfen geheizt werden, um ihn auszutrocknen. Ich hatte damals Nachtdienst, von etwa 22 Uhr bis morgens 8 Uhr. Da gab es auch zwei Frauen, die Nachtdienst hatten, nur wechselten sie um Mitternacht. Ich weiß noch, eine hieß Warja Wladimirowna Woronowa, die andere Anja Wassiliewna. Beide waren "liebe-bedürftig". Nun ja, was tut man nicht alles! Da gab es auch die hübsche Fenja vom Sägegatter "Pilorama") - aber mit Männern hatte sie schlechte Erfahrungen gemacht.

Manchmal war ich bei einem Kommando in Vologda dabei, wir holten mit "Krutschki" und "Pagorok" Baumstämme aus dem Fluß, sie wurden gestapelt. Einmal wurden wir zu einer bezahlten Zusatzarbeit gerufen - wir schaufelten Kohle, doch dann stellte sich heraus, dass diese Kohle in der Buchführung fehlte - sie war "illegal" und wir erhielten kein Geld. Planwirtschaft!

Einmal mußten wir Zement ausladen. Der russische Zement vom Schwarzmeer (Novorossijsk) war lose, in Pulverform - das Ausladen war eine Schweinerei! Als der Waggon etwa zur Hälfte leer war, begann es zu regnen... Der polnische Zement aus Grosowiecze war in Papiersäcken, das Entladen war einfach. Da war auch die "Ljaguschka" dabei. Da wurde sie böse: "Kto skasal "Ljaguschka"? Aber wir und ihre Kameradinnen lachten.

Einmal wurde ein Waggon ausgeladen, mit Klosettbecken. Nach Lieferschein sollte die Anzahl der Klosettbecken und der Spülkästen übereinstimmen. Das war aber nicht der Fall. Der Waggon kam aus Berlin und die deutschen Arbeiter hatten auch schon gelernt, wie man seine Norm erfüllt - Zu viele Becken (nimmt mehr Platz ein), zu wenige Spülkästen. Bis Mitternacht sollten wir fertig sein, sonst hätte der Betrieb Standgeld an die Eisenbahn zahlen müssen. Aber wir waren früher fertig und meldeten das dem Bahnhofsvorsteher. Der war zufrieden "otschen charascho!" - in einer Stunde kommt eine Lokomotive und holt den Waggon ab. Soweit gut - die Lokomotive kam erst am nächsten Morgen. Die Klosettbecken wurden im Gebäude der Maslodjela eingebaut - aber da gab es eine Panne - Jewgeni Pawlowisch gab diese Toiletten zur Benutzung frei, aber es fehlte ein Rohr für Kanalanschluss. Genau unter dem Fünf-Wege-Rohr befand sich der Schreibtisch von Jewgeni Pawlowitsch mit den Normbüchern - und der Inhalt ergoss sich darüber. Ein furchtbarer Gestank - Jewgeni Pawlowisch kam dazu mit seiner Frau. Und diese machte ihrem Mann einen fürchterlichen Krach. Der Arme tat uns leid.

Unvergesslich sind mir die klaren Winternächte in Molotschnoje, das Nordlicht ("poljarnaja siannja"), der herrliche Sternhimmel. Manchmal hörten wir das Heulen von Wölfen.

Wir hatten manchmal im Gebäude der Hochschule zu tun und da sah ich erstmals die Erfolge der sowjetischen Kautschuk-Forschung: Kok-Ssagys, Krym-Ssagys, Tau-Ssagys - veredelte Löwenzahn-Sorten, die viel Latex-Milch liefern, sowie beim Tau-Ssagys eine Neuzüchtung der Scorzonera (Schwarzwurzel).

Was mich besonders beeindruckte,war eine geographische Besonderheit dieser Gegend. Die Suchona fließt aus dem Kubjenskoje See ab. Aber etwa 40 km weiter münden drei Flüsse zusammen in sie: Vologda, Ljessna und Losta (wenn ich mich recht erinnere). Zur Schneeschmelze sind das so große Wassermassen, dass die Suchona zurückgedrängt wird und nach rückwärts fließt (wichtig für die Flöße mit "Drowa" (Brennholz) und "Balans" (Papier-Zellulose-Holz). Diese brauchen dann keinen Motorschlepper - die Wasserförderung kann beginnen (mit Förderanlagen Ljessotaska I und II, Parni I und II, alles für die Papier-Fabrik Sokol und Petschatkino. Ein Naturwunder!

Zusammengefaßt: In Molotschnoje ging es uns verhältnismäßig gut. Ich hatte auch die Möglichkeit, an Astronomiebücher heranzukommen. Es waren wissenschaftliche Werke (natürlich mit politischem "Aufhänger"): Popow - Bajew - Ljwow: Astronomie l und 2, sowie Blashko: Astronomie (ganz ausgezeichnet in der Darstellung!). Diese Bücher waren sehr billig - ich hatte mich gut eingelesen und wegen der einfachen Sprache verstand ich fast alles.


Lied eines Verbannten

von Elmar Ullrich, Sokol/Molotschnoje 1948

Die rauhen Winde, sie tosen,
sie kommen vom fernen Meer.
Wann pflückt ich die letzten Rosen?
lange, lange ists her.
Der Nebel steigt vom Fluß
aus Wald und Moor,
hüllt mir ganz leise ein
was ich verlor.
Irgendwo weit, hinter den Wäldern liegt
mein Glück in fernen Gauen.
Ich frag' die Wolke, die da zieht:
Sahst du meiner Heimat Auen?
Lang ist es her, dass ich zog in dies Land,
suchte vergebens, doch nirgendwo fand
ich Glück und Ruh.
Jahre, sie kommen und Jahre, sie gehn
Wann kehr ich einstens wieder?
Der Fluß, er schleicht so träge
durch endlose Wälder fort,
er nimmt seine einsamen Wege
langsam von Ort zu Ort.
Die Regenstreifen ziehn
aus Wolken schwer,
Herbstblätter wirbeln hin -
Ein Jahr noch mehr!
Welle auf Welle rinnt langsam dahin,
grad wie vor tausend Jahren.
So eilt die Zeit, schönste Jahre entfliehn,
umsonst gelebet sie waren.
Klagt ein Verbannter den Wellen sein Leid,
klagt er den Wäldern, den Stürmen, der Zeit:
sie bringen Trost:
Alles vergeht - auch du gehst dahin
dereinst in vielen Jahren.

Dieses Gedicht entstand zu einer Zeit,
als ich den Glauben an eine baldige Heimkehr schon fast aufgegeben habe.

Dr. Elmar Ullrich
Gerbrunn


Lebenslauf von Elmar Ullrich

Elmar UllrichGeboren: 9. Mai 1923 in Würzburg. Vater von Beruf Taubstummen-Oberlehrer und Historiker.
Kinder- und Jugendzeit in Würzburg. Schulbesuch: 1929 bis 1941 Abschluß mit dem Abitur.
Einberufung zum Reichsarbeitsdienst 1941
Arbeitseinsatz in Erstein(Frankreich) und Luzk (Ukraine).
Studium: Universität Würzburg Wintersemester 1941/42.
Einberufung zur Wehrmacht: Ende März 1942, nach kurzer Ausbildung als Infanterist Einsatz in Rußland (98. Division, Raum Juchnow-Gshatsk)
Verwundung: September 1942. Lazarette in Steciza (Polen) und Landau (Pfalz). Nach Genesung zum Ersatztruppenteil nach Jungbunzlau (Mlada Boleslav) in Tschechien. Verschiedene Kurse, schließlich 13. Offizierslehrgang, Schule VII, Milovice bei Prag.
September 1943: Als Leutnant wieder nach Rußland. Rückzug Jarzewo-Smolensk. Am 3. Oktober: Kriegsgefangenschaft in der Nähe des Städtchens Ljady bei Orscha. Transport ins Durchgangslager Moshajsk bei Gshatsk, und Nov. 1943 nach Grjasowez, Ankunft am 6. November.
In diesem Lager bis 1947, Arbeit auf Außenkommandos und in der Wäscherei.
Juli 1947 Transport nach Lager 7193/1, Sokol, hier ein Jahr bis Juli 1948.
Dann Einsatz in Molotschnoje, Bauarbeiten.
Kurz vor Weihnachten 1948 ins Lager 7437 Tscherepowez/Bogorodskoje.
Repatriierung im September 1949, Ankunft zuhause Oktober 1949.
In der Gefangenschaft habe ich durch gute Kontakte mit spanischen Gefangenen und Internierten die spanische Sprache erlernt. Diese Spanier durften nicht schreiben. Da ich über ein "Super-Gedächtnis" verfüge, lernte ich die Namen von etwa 30 gefangenen Spaniern auswendig und verständigte nach Heimkehr sofort die caritativen Stellen und die Angehörigen, sowie die spanische Regierung.
Ich nahm das Studium wieder auf und wurde Volksschullehrer. Man berief mich in die Lehrerbildung und ich betreute neben meinem Unterricht Lehrerstudenten der Pädagogischen Hochschule. Nebenbei studierte ich weiter (Romanische Sprachen, Psychologie, Pädagogik) und schloß mein Studium ab mit der Promotion zum Dr.phil.
Die spanischen Gefangenen und Internierten waren 1954 nach dem Tod von Stalin heimgekehrt - ich erhielt für meine Verdienste um diese Leute 1955 das Offizierskreuz vom Zivilen Verdienst von der spanischen Regierung. Heitat mit einer Spanierin, zwei Kinder (Tochter und Sohn), beide sind zweisprachig und Dolmetscher.
Seit 1971 war ich Fachbetreuer für ausländische Kinder in Bayern (Spanier, Portugiesen, Argentinier) - sehr umfangreiche Tätigkeit im Auftrag des bayerischen Kultusministeriums. 1986: Versetzung in den Ruhestand.
Mitglied der Spanischen Psychologischen Gesellschaft Madrid, Mitarbeit am Internationalen Lexikon der Psychologie. Mitglied der astronomischen Vereinigung Volkssternwarte Würzburg e.V.
Naturwissenschaftlicher Verein Würzburg: Heimatkundliche Lehrwanderungen.
80.Geburtstag am 9.Mai 2003.
Ich höre immer noch Vorlesungen an der Universität Würzburg, meist Naturwissenschaften (Astronomie, Mineralogie).
Vorträge in spanischer Sprache an den Universitäten Madrid, Pamplona und Valladolid, sowie San Jose/Costa Rica, Vorträge in portugiesischer Sprache in Rio de Janeiro und Nova Friburgo, es waren hier Themen aus der Erziehungswissenschaft. Übersetzung einer wissenschaftlichen Umfrage der Universität Valladolid (Spanien) über das Problem der Mathematisierung der Wissenschaft.

Kategorie: Erinnerungen von Kriegsgefangenen | Hinzugefügt von: Anatoli
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