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Reinhold Hammerschmidt: Nach 60 Jahren stand ich in Woschega zum erstenmal am Grab meines Vaters
11.06.2013, 11:19

Karl Hammerschmidt1943 waren die Verluste der deutschen Armeen an der Ostfront in Rußland schon so erheblich, daß auch immer ältere Jahrgänge Kriegsdienst leisten mußten. Mein Vater, Karl Hammerschmidt, geboren am 31.12.1906 in Dortmund, war Postangestellter und wurde 1942 im Alter 36 Jahren zur deutschen Wehrmacht eingezogen.

6 Wochen nach meiner Geburt, Anfang August 1943, mußte er meine Mutter und mich verlassen und fuhr an die Ostfront nach Starowerowka, ein kleines Dorf 15 km nordöstlich von Krasnograd in der Ukraine. Ein paar Tage nach dem Eintreffen an der Ostfront, am 8.9.43 hat er die letzte Postkarte an meine Mutter geschrieben. Das war das letzte Lebenszeichen, das sie von meinem Vater erhielt. Kurze Zeit später erreichte sie die Vermißtmeldung des Kompanieführers in dem für die damalige Zeit üblichen Tenor und Vokabular.

Im Felde den 10. X. 1943

R. Kluge, Ltn. u. Komp. Führer


Sehr geehrte Frau Hammerschmidt!

Ich habe die traurige Pflicht, Ihnen mitteilen zu müssen, daß Ihr Mann, der Grenadier Karl Hammerschmidt, seit dem Gefecht bei Starowerowka am 14.9.1943 vermisst wird. Starowerowka liegt etwa 15 km nordostwärts Krasnograd.

Ich kann mir denken, wie traurig diese Nachricht für Sie ist und wieviel Zweifel und Unruhe sie bei Ihnen auslösen wird. Um so schwerer ist es für mich, die richtigen Worte zu finden, die Ihrem Schmerz gerecht werden.

Leider fehlen uns jegliche Nachrichten über das Schicksal Ihres Mannes. Das Los, das Sie trifft, ist ein sehr hartes. Mögen Sie es tragen in dem Gedanken an die Größe unseres Volkes und Reiches. Dieses möge Ihnen zugleich etwas Erleichterung in Ihrem Schmerze geben. Tragen Sie mit uns die Hoffnung, daß Ihr Mann noch unter den Lebenden weilt. Hieraus mögen Sie Ruhe und Kraft schöpfen um den weiteren Dingen mit Zuversicht entgegenzusehen.

Ich grüße Sie in aufrichtigem Mitgefühl

Ihr Reinhold Kluge


Meine Mutter hat dann später beim Suchdienst des Roten Kreuzes eine Suchanzeige aufgegeben in der Hoffnung, etwas über den Verbleib meines Vaters zu erfahren. Leider war das Ergebnis negativ, so daß sie jahrzehntelang im Ungewissen über das Schicksal meines Vaters blieb.

Dann unvermittelt im Januar 1996, 53 Jahre nach dem letzten Lebenszeichen meines Vaters, schrieb ihr der Suchdienst des Roten Kreuzes, daß mein Vater nach den aus der GUS erhaltenen Archivunterlagen, am 18. Dezember 1944 als Kriegsgefangener auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion verstorben ist, aber Todesursache sowie Grablage unbekannt sind.

Da das Rote Kreuz mitgeteilt hatte, daß die Grablage unbekannt ist, hatte ich angenommen, daß auch die Lagerorte unbekannt sind, an denen sich mein Vater aufgehalten hatte, obschon ich daran natürlich brennend interessiert gewesen wäre.

Im Jahr 2002 fiel mir ein Buch des ehemaligen Kriegsgefangenen Erwin Peter, in die Hand, indem er schrieb, daß ihm Sterbelisten aus russischen Lagern vorlägen. Ich habe daraufhin Herrn Peter sofort kontaktiert, um zu erfahren ob mein Vater darin vielleicht verzeichnet ist und ich so den Lagerort und eventuell die Grablage in Erfahrung bringen könnte.

Herr Peter gab mir dann den Rat, das Rote Kreuz nochmals anzuschreiben und um Auskunft zu den Lagerorten zu bitten. Das Rote Kreuz hat mir daraufhin geschrieben, daß aus den übermittelten Datensätzen hervorgeht, daß sich mein Vater in den Lagern TAMBOV, WOLOGDA und WOSCHEGA aufgehalten hat und in WOSCHEGA wahrscheinlich verstorben ist.

Warum das Rote Kreuz uns das nicht gleich im ersten Brief mitgeteilt hatte, konnte ich nicht nachvollziehen. Man konnte sich doch denken, daß das für die Angehörigen von größtem Interesse war. Ich war ein wenig enttäuscht darüber!

Da ich die Orte WOLOGDA und WOSCHEGA natürlich gern besuchen wollte, hat mir Herr Peter, geraten doch bei dem Verein Russisch-Deutsche-Freundschaft anzufragen und dort um Hilfestellung zu bitten.

Ich habe dann im Internet recherchiert um die Adresse dieses Vereins zu bekommen und bin dabei auf das Suchreferat der Liga für Russisch-Deutsche-Freundschaft gestoßen. Das Suchreferat bot an, gegen eine Gebühr, Kopien der Personalakte von ehemaligen Kriegsgefangenen zu beschaffen. Ich war natürlich angenehm überrascht und habe die Gebühr überwiesen und den Suchantrag sofort gestellt. Aber über das Suchreferat bin ich nicht weitergekommen. Nachdem ich 2 Monate keine Reaktion bekommen hatte und auch keine Bestätigung hatte, daß der Antrag überhaupt bearbeitet würde, habe ich das Suchreferat angerufen und den Antrag nochmals gestellt. Wieder 2 Monate keine Reaktion.

Personalakte von Karl HammerschmidtDa meine Mutter schon 87 Jahre alt ist, wollte ich keine Zeit verlieren und habe das Rote Kreuz gefragt, wo ich die Personalakte meines Vaters bekommen könnte. Das Rote Kreuz hat mir dann die Anschrift von WOJENNYE MEMORIALY gegeben. Von WOJENNYE MEMORIALY habe ich dann auch eine Kopie der Akte meines Vaters bekommen mit der Information, daß der Lagerfriedhof von WOSCHEGA noch erhalten ist. Es war auch der Lageplan des Friedhofes beigefügt.

Niemals hätte ich damit gerechnet, nachdem mein Vater 60 Jahre verschollen war, jemals seine Personalakte in die Hand zu bekommen. Aber die Russen sind manchmal preußischer als die Preußen und haben über jeden registrierten Gefangenen akribisch eine umfangreiche Personalakte erstellt. Glück für mich! Ich war fassungslos, daß ich nach 60 Jahren Ungewissheit nicht nur die Lagerorte, sondern auch die Grablage meines Vaters erfahren habe und um dem ganzen noch die Krone aufzusetzen, der Friedhof sogar noch erhalten ist.

Jetzt wollte ich natürlich etwas über Wologda erfahren. Was war das für eine Stadt? Aber wo könnte man Informationen bekommen? - Wozu haben wir das Internet! Ich war dann ziemlich überrascht von Wologda eine exzellente Internetseite in fehlerfreier deutscher Sprache zu finden.

Auf dieser Internetseite waren denn auch umfangreiche Informationen zum Thema Kriegsgefangenschaft zu finden. Hochachtung empfand ich auch, daß sich russische Historiker mit dem Schicksal der ehemals feindlichen Kriegsgefangenen im Wologder Gebiet eingehend beschäftigten.

Die Personalakte sagte unter anderem aus, daß mein Vater im Lager 193 war. Aber wo war das Lager 193, das Wologdaer Gebiet ist groß? Wieder hat mir die Internetseite weitergeholfen. Der russische Historiker Alexander Kusminych hatte eine detaillierte Aufstellung über die Lager im Wologdaer Gebiet erstellt, der ich entnehmen konnte, daß das Lager 193 4 Abteilungen besaß. Aufgrund des Ankunftdatums im Lager aus der Personalakte konnte ich dann recherchieren, daß sich mein Vater entweder in der Abteilung Sokol oder in der Abteilung Petschatkino aufgehalten haben mußte.

Sokol ... den Namen hatte ich doch schon auf der Internetseite gelesen. Richtig! Ein ehemaliger Kriegsgefangener hatte seine Erlebnisse aus der Papierfabrik Sokol geschildert. Vor meiner Reise nach Wolodga habe ich mich dann mit ihm unterhalten und interessante Details aus seiner Lagerzeit erfahren. Die Standorte des ehemaligen Lagers 193 (Die Papierfabriken von Sokol) habe ich dann auch bei meiner Reise besucht. Teilweise sah es noch so aus wie vor 60 Jahren.

Friedhof in WoschegaIch habe dann die Reise nach Wologda mit gemischten Gefühlen angetreten. Wie würden wohl die russischen Menschen reagieren, wenn der Sohn eines faschistischen Soldaten auftaucht und nach dem Grab seines Vaters fragt? Aber ich habe nur Freundlichkeit kennengelernt und Hilfsbereitschaft erfahren.

60 Jahre nach seinem Tod stand ich dann zum erstenmal am Grab meines Vaters in Woschega. Die Gefühle die man in diesem Augenblick hat, sind nicht zu beschreiben. Der Friedhof war tatsächlich noch erhalten und es war sogar ein Kreuz zum Gedenken an die Gefangenen aufgestellt. Erstaunt war ich, als ich las, daß sich ein russischer Veteran um den Erhalt dieses Friedhofes bemüht hatte. Man muß die menschliche Größe dieses Mannes anerkennen, der die Gräber des ehemaligen Feindes pflegt!

Meine Dolmetscherin, Professor an der Universität Wologda, hat noch einen Gesprächstermin mit dem Rektor der Universität, Professor Sudakow, arrangiert, der sich seit 40 Jahren ehrenamtlich mit dem Thema Kriegsgefangenschaft beschäftigt. Professor Sudakow hatte die Herausgabe eines Gedenkbuches geplant, in dem alle Kriegsgefangenen verzeichnet werden sollten. Da Professor Sudakow die deutsche Sprache aber nicht spricht, war er natürlich auf Hilfe von deutscher Seite angewiesen. Er hat aber keine bekommen, so daß das Projekt geplatzt ist. Sogar der VDK hat abgelehnt. Was man dazu sagen soll, weiß ich nicht!!!

Die Jahre der Ungewißheit über das Schicksal meines Vater sind jetzt vorbei und ich bedanke mich bei den russischen Menschen, die mir dabei geholfen haben, dieses Schicksal aufzuklären. Vielen Dank!

Reinhold Hammerschmidt
Am Kucksberg 19
44227 Dortmund
Tel.: 0231/7900568
e-mail: reinhold.hammerschmidt@t-online.de

Kategorie: Reiseberichte | Hinzugefügt von: Anatoli
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