1996 fand man in den Archiven des CIA vordem streng geheime Dokumente, welche
den Massenmedien heftige Angriffe auf das Internationale Rote Kreuz erlaubten. Man beschuldigte die
wegen ihrer humanitären Aktivitäten verdiente Organisation der Spionage zu Gunsten Deutschlands in
den Jahren des Zweiten Weltkriegs, der Waffenlieferung für die Wehrmacht und moralischer
Verwerflichkeit.
Der amerikanische Senator Alphons d'Amatre richtete aus diesem Anlass eine
offizielle Anfrage an den jetzigen Präsidenten des Internationalen Roten Kreuzes, Kornelio
Sammarugi. Es ist durchaus möglich, die Führung des Internationalen Roten Kreuzes schliesst dies
nicht aus, dass sich einige der vorgebrachten Beschuldigungen bestätigen. Die überwiegende Mehrheit
der ausländischen Politiker erkennt an, dass dieser Umstand in keiner Weise die humanitäre Mission
des Internationalen Roten Kreuzes in bezug auf Erleichterungen für Kriegsgefangene, Verwundete und
Kranke sowie Zivilisten im Rahmen von Kriegshandlungen in der Vergangenheit wie in der Gegenwart in
Frage stellen kann.
Dessenungeachtet besteht die Gefahr, dass der Skandal um das Internationale Rote
Kreuz dazu genutzt wird, die Organisation aller denkbaren Sünden zu beschuldigen.
In der Vergangenheit gab es schon einmal einen solchen Fall, als Moskau das
Internationale Rote Kreuz als Helfer der faschistischen Aggressoren bezeichnete und die sowjetische
Seite allen Ernstes versuchte, das Internationale Rote Kreuz seiner internationalen Reputation zu
berauben. Damals, zu Beginn der fünfziger Jahre, erklärte sich dies in mancherlei Hinsicht aus den
Realitäten des Kalten Krieges. Es ist mehr als wunschenswert, dass sich derartiges in unserer Zeit
nicht wiederholt.
In diesem Zusammenhang scheint es sinnvoll, auf Versuche des Internationalen
Roten Kreuzes aufmerksam zu machen, das Schicksal der Kriegsgefangenen nach dem Zweiten Weltkrieg
zu erleichtern. Diese Versuche und die Kontakte zwischen der UdSSR und dem Internationalen Roten
Kreuz in Friedenszeiten sind viel weniger bekannt, als solche Bemühungen während des Zweiten
Weltkrieges.
Drei wichtige Dokumente sind es, welche dieses Problem erhellen. Bereits am 21.
August 1945 adressierte der Präsident des Internationalen Roten Kreuzes, Max Huber, ein besonderes
Memorandum an die Präsidenten der USA, Frankreichs, Grossbritanniens und der UdSSR, in dem er
feststellte, dass laut Artikel 75 der Genfer Konvention "die Repatriierung der Kriegsgefangenen in
kürzester Frist nach Friedensabschluss stattzufinden hat". Der Umstand, dass es in Deutschland
keinerlei Regierung und somit einfach niemanden gebe, mit dem Frieden geschlossen werden könne,
dürfe nicht als Rechtfertigung dafür dienen, "die Frist des Verbleibens in der Gefangenschaft
unbestimmt zu belassen". Wie die Dokumente belegen, reagierte Washington positiv auf das Memorandum
von Max Huber. Die Regierung der USA schlug der UdSSR vor, dem Angebot des Roten Kreuzes
entsprechend in Genf eine inoffizielle Tagung über die Lage der Kriegsgefangenen einzuberufen.
Am 17. November 1945 antwortete der stellvertretende sowjetische Aussenminister, A. Vysinskij,
dem US-Botschafter, William Averell Harryman, mit dem unten angefuhrten Brief.
Abteilung USA Moskau
N 2089 5. Dezember 1945
17.12.45
Verehrter Herr Botschafter,
In Zusammenhang mit Ihrem Brief vom 17. November, in welchem Sie über den Vorschlag des
Internationalen Roten Kreuzes informieren, in Genf eine inoffizielle Tagung aus Anlass einer
möglichen Korrektur der internationalen Abkommen hinsichtlich der Behandlung der kriegsgefangenen
und internierten Bürger einzuberufen, teile ich folgendes mit:
Die sowjetische Regierung ist der Meinung, dass die Frage der Behandlung der kriegsgefangenen und
internierten Bürger gegenwärtig, da der Krieg gerade erst beendet ist, keine aktuelle und eilige
darstellt. Nach Meinung der sowjetischen Regierung wurde es auf die Weltöffentlichkeit einen
ungünstigen Eindruck machen, wenn sich die Regierungen der wesentlichen kriegsteilnehmenden Länder
schon in den ersten Tagen des Friedens mit der Vorbereitung solcherart Abkommen hinsichtlich der
Kriegsgefangenen beschäftigten.
Im Zusammenhang mit dem oben Dargelegten hält die Sowjetische Regierung es für unmöglich, sich mit
dem erwähnten Vorschlag des Internationalen Roten Kreuzes einverstanden zu erklären.
*Der Autor dieses Beitrags widmet dem Thema in einer Publikation ein einzelnes
Kapitel, siehe Konasov, Sud'by nemezkich voennoplennych v SSSR, S. 16-121. AVP RF, f. 0129, op. 29,
p. 176, d. 80, l. 113. |