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Horst Hartmann: Russische Kriegsgefangenschaft. Transport und Lager
20.06.2013, 11:02

Der Transport

Von Focsani (Lager Nr.176, Transport Nr. 48 276) ging die Fahrt ins Unbekannte. Soweit wir feststellen konnten, ging es erst durch die Ukraine. Wir kamen an Kiew vorbei. Schließlich sahen wir den Dnjepr, alles so durch die Ritzen. Leider wurde unser kleiner Waggon abgehängt und wir stiegen in einen großen Waggon um, der auch schon voll besetzt war. Das wurde natürlich noch enger, wir werden etwa 40 gewesen sein, so dass die Gesamtzahl etwa 200 betrug. Nun darf man nicht vergessen, dass die russische Spur breiter ist als unsere.

Wir saßen nun in Viererreihen auf dem Boden in der Mitte Rücken an Rücken. An der Waggontür war eine „ Pissrinn “ angebracht, durch die auch das „große Geschäft„ erledigt werden musste, für die, da nebenan sassen, nicht sehr angenehm.

Durch die Enge und die widrigen Umstände, dazu noch Mangel an Verpflegung und besonders an Wasser, kam es langsam zu einer gereizten Stimmung. Es gab Streitereien über Kleinigkeiten, besonders bei den Offizieren, die von irgendwelchen Stäben kamen und das einfache Leben überhaupt nicht gewohnt waren. Es ist furchtbar zu sehen, wie kultvierte Menschen Plötzlich ihre Erziehung und Moral vergessen und nur noch der Selbsterhaltungstrieb herrscht. Diese Agressionen steigerten sich, wenn der Zug stand und das war die meiste Zeit. Fuhren wir dann weiter, war alles wieder friedlich und dusselte so vor sich hin.

Der Waggonälteste , der die Situation erkannte, versuchte durch Vorträge oder Singen die Stimmung etwas zu heben und komisch, es wurden nur Volkslieder gesungen. Überhaupt gingen die Gedanken immer wieder zurück in die Zeit, wo die Welt noch in Ordnung war.

Plötzlich hielt der Zug wieder, die Waggontür aufgerissen und der Befehl kam, alles aussteigen. Es war der 6. Dezember um 7 Uhr früh, es schneite leicht, von Bahnhof oder Häusern war nichts zu sehen. Wir stolperten mit dem Posten die Gleise entlang. Was werden sie mit uns vorhaben? Es waren auch nur die Offiziere, die anderen Wagen blieben geschlossen. Wir werden so etwa 14 Tage gefahren sein und es war gut möglich, dass sie uns irgendwo abknallen. Doch da tauchten Baracken auf, wir wurden hineingeführt und an lange Tische gesetzt. Es gab Suppe und Brei, dazu Brot und vor allem Wasser, soviel wir wollten. Wir wurde sogar von Frauen bedient, die uns aufmunterten „daway kuschart“ (auf, essen!). Was war eigentlich los, weil Nikolaustag ist, wurden wir bestimmt nicht so bewirtet. (Später haben wir erfahren, dass irgend ein Polit. Feiertag war).

Dann marschierten alle in die Waggons zurück, setzten sich brav auf den Fussboden und weiter ging die Fahrt. Das war typisch russisch, immer unberechenbar.

Das Lager

Nach weiteren 10 Tagen kamen wir endlich ans Ziel. Das Lager hier „Tscherepovetz“ (zu deutsch: Schädelstätte ) lag etwas auf der Höhe. Wir freuten uns, endlich mal lang liegen zu können und auch etwas zu trinken. Erstes ging in Erfüllung, aber Wasser gab es nicht.

Wir kamen alle ein eine Baracke zur Quarantäne. Die Pritschen waren durchgehend, vier Reihen, Strohsäcke gab es keine.

Wir waren ziemlich hoch im Norden und so war es im Winter so zwischen - 10 – 14 Grad kalt. Da wir als letzte zum Mittagessen kamen, war es bereits dunkel. Gottseidank sah man nicht so genau, was man ass, die Suppe bestand aus dem Grünen der Rüben. Am Boden war eine Menge Dreck, durch den Wassermangel wurde alles ungewaschen in den Kessel geworfen.

Es kam der 24. Dezember, Heiligabend. In der sonst so lauten Baracke war es mäuschenstill. Es war vollkommen dunkel, nur am Eingang brannte eine Kerosinfunzel. Aber ich glaube, es schlief keiner. Die Gedanken gingen bestimmt zurück in die Heimat und zu der Familie. Wie wird es ihnen gehen und werden wir sie je wiedersehen?

Plötzlich ging die Türe auf, ein paar zerlumpte Gestalten kamen herein und stellten ein Tannenbäumchen und zwei Kerosinlichter auf und einer, ein Pfarrer, erzählte die Weihnachtsgeschichte. Auf einmal waren alle hellwach. Es wurde ein Gebet gesprochen und „Stille Nacht“ gesungen. Das war die eindruckvollste Weihnacht in meinem Leben. Denn nie kann man die Botschaft besser verstehen, als wenn man am Tiefpunkt angelangt ist. - Diesem Pfarrer unsern herzlichsten Dank. Leider wusste niemand, wie er hiess und woher er kam. (Drei Wochen später war er auch nicht mehr unter den Lebenden.) Von nun an war Leben in der Baracke, noch andere Lämchen tauchten auf. Es war, als ob allen ein Stein vom Herzen gefallen wäre. Hoffnung und Gottvertrauen nach dieser Dunkelheit. Die ungarischen Offiziere, die mit uns in der Baracke lagen, hielten ebenfalls eine Andacht in ihrer Sprache. Ich werde diesen heiligen Abend nie vergessen!

Da wir in Quarantäne waren, durfte niemand ins Lazarett. In der Baracke war ein Raum mit Brettern abgeteilt als Krankenstube. So langsam begann sich dieser zu füllen und die ersten Toten wurden herausgetragen. Die Ursache waren schwere Darmstörungen. Es kam sicher daher, dass sich viele vor lauter Durst Schnee assen und die hygienischen Verhältnisse nicht die besten waren. Auch ich habe mich verleiten lassen, Tabak gegen Wasser zu tauschen und prompt hatte ich den schönsten Durchfall. Ich rannte laufend aufs Klo, dazu musste ich durch die Kälte und Schneetreiben die ganze Baracke lang. Kaum zurück, gings von neuem los. Schliesslich war ich so elend und kaputt, dass mir nichts anderes übrig blieb, als in das Revier einzuziehen, auch auf die Gefahr hin, nicht mehr herauszukommen. Dort gab es wenigstens ein Zimmerklo, das war schon viel wert. Der deutsche Arzt gab mir einige Medikamente, das hatte ich nur dem Umstand zu verdanken, dass ich selbst von der Zunft war.

Eines Tages machte die russ. Ärztin Visite, und dabei sollte ich mit Anderen in das russ. Stadtlazarett abgeschoben werden. Doch sprach ich mit ihr mit meinem wenigen russisch und erklärte ihr, dass ich Zahnarzt sei. Daraufhin blieb ich zurück und sie versprach mir, dass ich in meinem Beruf eingesetzt würde.

Unterdessen waren alle Offiziere des Lagers in das Hauptlager verlegt worden. Wir sollten ein Kranken und Erholungslager werden. Da es mir besser ging, wurde ich in den für den Barackenältesten vorgesehenen Raum verlegt.

Mittlerweile war in diese Baracke ein Transport aus dem Donez – Gebiet eingewiesen worden, der schon lange angekündigt war. Es sollten etwa 1000 Mann sein, an kamen 400 – 600, die anderen waren unterwegs gestorben, über den Zustand der Übriggebliebenen braucht man keine Worte zu verlieren. Sie kamen aus den Bergwerken und nachdem sie zur Arbeit nicht mehr zu gebrauchen waren, hatte man sie abgeschoben und ohne Winterbekleidung 4 Wochen durch die Gegend in den Norden gefahren.

In unserem Raum wurde von der Ärztin eine Untersuchung vorgenommen, dabei war auch einer mit einem roten Kopf. Der Rumäne redete etwas von „Tuberkulose“, dann wurde ich gefragt, und ich erklärte ihr,“ es ist die „Karoscho“. „Was ist zu machen“? „Wenn man nichts hat, sofort ein Jodanstrich.“ „Ihr guter Arzt und hier arbeiten.“ Zuerst habe ich mich gewehrt, diese Verantwortung zu übernehmen, schliesslich war ich einverstanden, als Assistent von Dr. Zöller im Lazarett. Was sollte ich machen? Er war froh, Hilfe zu bekommen, er war ganz allein in diesem überfüllten Lazarett. Medikamente gab es kaum, täglich starben 30 – 35 Leute.

Nach ein paar Tagen hiess es : “Alles wratschi (Ärzte) zum Kapitan„! Insgesamt waren wir 7, es gab noch ein weiteres Lazarett und die Ambulanz. Zuerst wurden wir heruntergemacht, wir hätten schlecht gearbeitet und schuld an den vielen Toten. Wir kämen alle vor das Kriegsgericht. Ich dachte, da hast du dich auf etwas eingelassen. Die anderen sagten keinen Ton zu ihrer Rechtfertigung. Als wir rausgingen, meinten sie: “Heute war es gar nicht so schlimm, am letzten Mal sollten wir erschossen werden!“

Ich arbeitete jetzt mit einem Ungarischen Arzt Dr. Tokatsch zusammen, ein sehr netter Mann, von ihm habe ich viel gelernt. Die Verhältnisse waren katastrophal, die meisten Patienten waren nur noch Haut und Knochen, sogenannte „Dystrophiker“ vom Tode gezeichnet. Viele starben zwischen Suppe und Brei. Wie oft sass ich dabei, wenn es zu Ende ging. Meistens merkten die Patienten das gar nicht, sie waren noch voller Pläne, obwohl schon kein Puls mehr zu fühlen war. Man nennt das die „prämortale Euphorie“, ein Geschenk zur Erleichterung des Todes.

Da unsere Mittel so begrenzt waren, kamen wir auf die Idee, Birkenrinde abzukochen und als Tee zu servieren. Beide, Patienten und wir hatten wenigstens das Gefühl, es wird was getan.

Bei jedem Todesfall war eine Krankengeschichte zu schreiben, die von der russischen Sekretärin eingesammelt wurde. Als Schreibpapier gab sie uns ein russisches Mathematikbuch, es wurde einfach über das Gedruckte geschrieben. Es war kaum möglich nachzukommen, und da es sich fast immer um dasselbe Krankheitsbild handelte, hatte ich einen Patienten zur Hilfe eingestellt. Ich gab ihm drei Vordrucke, ich musste nur den Namen und die Nummer sagen, alles andere tat er alleine. Diese Zustände kann nur der ermessen, der es mitgemacht hat.

Kategorie: Erinnerungen von Kriegsgefangenen | Hinzugefügt von: Anatoli
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