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Hans Hoferichter: Eine Teilbiographie
31.05.2013, 15:35

Am 9.5.1921 wurde ich in Nieder-Linda, einem kleinen Ort in Schlesien geboren. Nach meiner Schulzeit erlernte ich den Drogistenberuf und besuchte die Fachschule in Görlitz. Nach dem Bestehen der Drogisten-Fachprüfung, der Kaufmannsgehilfen, - und der Giftprufung, blieb ich in der gleichen Drogerie tätig, bis ich, mit 18 Jahren, am 13.1.1940 zum Wehrdienst einberufen wurde.

In dieser, meiner Kinderzeit, litt Deutschland unter den Folgen des verlorenen I. Weltkrieges und der allgemeinen Weltwirtschaftskrise. Deutschland hatte viele Arbeitslose.

Als ich 12 Jahre alt war, trat ich in die Jungschar, das war eine christliche Jugendbewegung, ein. Nach der Machtübernahme durch Adolf Hitler, wurde diese in die Hitlerjugend übernommen. Wir wurden von der N.S.-Propaganda nationalistisch beeinflußt und erzogen. Den Meisten von uns hat es Freude gemacht, wenn wir in flotter Uniform gemeinsam marschierten und sangen. Wir fuhren auch in Zeltlager und machten viel Sport. Aber auch die N.S.-Parolen wie: Alle Deutschen heim ins Reich, oder Wir sind ein Volk ohne Raum, also Ausdehnung nach dem Osten fanden unsere Zustimmung.

Der, von den Nazies erreichte wirtschaftliche Aufschwung, die Beseitigung der Arbeitslosigkeit, der Bau von Autobahnen und des Volkswagens waren positive Seiten des diktatorischen Hitler-Systems. Wir erfuhren nichts von Konzentrationslagern, von Judenverfolgung oder Eutanasie.

So sind wir jungen Männer mit Begeisterung in den Krieg gezogen, welcher, und so sagte es unsere Propaganda, uns von den Feindmächten aufgezwungen wurde! So lange die deutschen Soldaten siegten, hielt diese Stimmung auch an. Doch besonders nach der verlorenen Schlacht um Stalingrad kamen vielen von uns die ersten Zweifel an unserem Regiem. Im vierten Kriegsjahr war dann die Kriegsmüdigkeit schon groß. Die Männer wollten endlich wieder nach Hause zu Frau und Kind. Doch für viele, so auch für mich, kamen, nach dem Kriegsende, noch Jahre der Gefangenschaft dazu.

Bei dem Rückzug der deutschen Truppen im Mittelabschnitt der Ostfront 1944 wurde meine Abteilung im Raum Baranovice, westlich von Minsk, eingekesselt, zerschlagen und aufgelöst. Der letzte Befehl, jeder solle auf eigene Faust versuchen, sich zu den deutschen Linien durchzuschlagen. Darauf bin ich mit einem Unteroffizier und einem Gefreiten neun Nächte lang gegen Westen marschiert. Pro Nacht ca. 20 km. gelaufen. Am folgenden Tag immer im Wald versteckt geschlafen. Es war ein eigenartiges Gefühl für uns, plötzlich selbständig zu sein, keine Befehle mehr zu erhalten, wie wir es seit über vier Jahren gewohnt waren, sondern selbst zu entscheiden, ob man nach rechts oder links marschiert. Ein gewisses Gefühl von Freiheit.

Da wir in den ganzen Tagen ausser ein paar Waldbeeren, nichts zu Essen hatten, machte uns der Hunger leichtsinnig. Wir gingen am 10. Morgen in ein kleines Dorf, und baten in dem ersten Haus um etwas Brot, dann machten wir den Fehler und gingen nicht wie bisher in den dichten Wald zurück, sondern haben uns in westl. Richtung in einem kleinen Wäldchen ca.- 50 X 50 m. zum Schlafen gelegt, und wurden von einer russ. Nachschub-Einheit im Schlaf überrascht, gefangengenommen und entwaffnet. Sie nahmen mir auch meine Konfirmationsuhr ab, aber sie haben uns nichts getan. Wir wurden in das Dorf zurückgeführt, und man gab uns einen großen Topf Graupen zu essen. Nie mehr im Leben haben mir Graupen so gut geschmeckt wie diese.

Trotz unserer so Ungewissen Zukunft, unsere Propaganda hatte uns gewarnt, die Russen wurden keine Gefangenen machen, waren wir froh, dass für uns dieser furchtbare Krieg zu Ende war, und wir verspürten eine gewisse Erleichterung. Zumal uns an die Front ziehende russische Soldaten mit Zurufen trosteten: Gitler kaput, Woyna kaput, skoro domoi. Zu uns drei, kamen bald weitere Gefangene, bis wir wohl 100 waren und wir mußten nun die ganze Strecke von ca 200 km. bis zu einem Auffanglager, es hieß glaube ich Neu-Jelnia, wieder zurücklaufen. Wir mußten dann mit 30 000 anderen Gefangenen einen Marsch durch Kiew mitmachen. Von dort kam ich dann, nach 14 Tagen Fahrt im Güterwaggon in Grjasowez an.

Dass es mit dem Nachhausekommen dann doch nicht so schnell ging, verstärkte besonders nach dem Waffenstillstand im Mai 1945 den seelischen Druck, welcher auf uns Gefangenen lastete. Dazu kam die Sorge um die Angehörigen zu Hause. Über die Heimat waren die starken Bombenangriffe und zum Schluß auch die Front hinweggezogen. Ich selbst war ja noch ledig. Aber die älteren Kameraden, welche Frau und Kinder zu Hause hatten, und nicht wußten, ob diese überhaupt noch lebten, hatten großen Kummer. Diese Ungewißheit nagt an der Psyche und macht die Menschen missmutig.

Als wir im Früjahr 1946 erstmals eine Karte mit 25 Worten nach Hause senden durften, haben wir uns alle gefreut. Die Angehörigen von vielen Kameraden wußten oft nicht, dass sie noch lebten. Doch noch größer war die Freude, als wir Mitte 1946 die ersten Antworten aus der Heimat erhielten. Ich erfuhr, dass alle meine Angehörigen überlebt hatten. Doch sie waren alle aus Schlesien vertrieben worden. Ich hatte ja schon vorher im Lager-Radio davon gehört, dass meine Heimat Schlesien jetzt zu Polen gehörte. Das war ein harter Schlag für mich, und der Gedanke, nie mehr in mein geliebtes Heimatdorf zu kommen, erschütterte mich sehr. Meine Mutter, Schwester und die alten Großeltern lebten jetzt auf einem Bauernhof in der Nähe von Bremen. Sie schliefen über dem Kuhstall auf Stroh. Mein Vater war leider in eine entfernte Stadt verschlagen worden und konnte nicht in den gleichen Ort. Im Herbst 1947 erhielt ich die Nachricht, dass mein Vater den Verlust der Familie, seiner beruflichen Existenz und der Heimat nicht verkraften konnte und Selbstmord begangen hatte. Ein weiterer Schicksalsschlag. Was uns das Leben in der Gefangenschaft erträglich machte, war auch die Tatsache, dass es einem nicht allein so ging. Die Kameradschaft, besonders die starke Unterstützung durch die engsten Freunde, hat uns die Kraft zum Durchhalten gegeben. Erstaunlich finde ich die Tatsache, dass mir in den ganzen fünf Jahren kein einziger Fall vom Selbstmord eines Gefangenen bekannt geworden ist. Dagegen hat sich bei uns auf einem Aussenkommando mal ein Posten aus Liebeskummer erschossen.

Als wir die Bestätigung von ersten Heimkehrer-Transporten aus Deutschland erhielten, hat dies natürlich unseren Durchhaltewillen gestärkt, und die Hoffnung auf unsere baldige Entlassung verstärkt. Im Herbst 1947 wurde ich aus dem Lager Petscharkino in Richtung Süden gefahren. Viele glaubten, dass es jetzt nach Hause ginge. Sehr groß war unsere Enttäuschung, als wir mit unserem Transport im Donez landeten, und wir im Kohlebergwerk arbeiten mußten. Von dort wurde ich mit meiner Brigade als Bestarbeiter, wir hatten mit 155% das Soll übererfüllt, in die Heimat entlassen. In Brest-Litowsk wurden wir noch einmal entlaust. Als wir nackt in der Banja standen, verbrannte plötzlich nebenan unsere ganze Bekleidung. Wir befürchteten sehr, dass der Transport nun ohne uns weiterfahren wurde. Doch wir erhielten erstaunlich schnell neue Bekleidung und wir fuhren weiter mit nach Frankfurt/Oder. Man kann sich nicht vorstellen, wie riesengroß unsere Erleichterung war.

Doch das alles ist nun über ein halbes Jahrhundert her, und rückblickend erscheint einem alles nicht mehr so schwer und traurig wie damals, als ich noch nicht wußte, dass ich alles überleben und auch körperlich und geistig fast unbeschadet überstehen würde.

Der Polit-Offizier im Lager 7/150 bezeichnete mal in einer Rede unsere Gefangenschaft als "Universität des Lebens". Nun dieses Studium gönne ich niemand, obgleich ein Körnchen Wahrheit darin steckt. Man hat Lebenserfahrungen gewonnen, welche man in einem normalen, zivilen Leben nie machen würde.

Eines steht für mich mit Sicherheit fest, daß ich sehr viel Glück gehabt habe, besonders, dass ich die ersten 2 Jahre in dem Lager Grjasowez gewesen bin. Ich denke dabei besonders an die Zeit, als ich als Zimmermann bei dem Bau der ca.40 m. langen Brücke über den kleinen Fluß ELENIK eingesetzt war. Zuerst lernten wir von einem alten Russen, wie man aus dicken Fichtenstämmen mit dem Beil Vierkantstämme schlägt. Ich hatte Freude dabei, denn mir gelang diese Arbeit gut, und ich hatte kleine Erfolgs-Erlebnisse! Viel unangenehmer war dagegen die Arbeit im Kohlebergwerk. Da die Kohleschichten meistens nur 3/4 bis l Meter dick waren, mußten wir im Knieen oder Liegen schuften, um die Norm zu erfüllen. An vielen Stellen tropfte dazu das Wasser von der Decke. Unsere Arbeitskleidung war nass, und gefror auf dem Heimweg vom Schacht.

So wechselte, den jeweiligen Lebensbedingungen entsprechend unsere Stimmung in der ganzen Zeit der Gefangenshaft zwischen Hochs und Tiefs, sehr bestimmt auch durch den eigenen körperlichen Zustand. Natürlich aber auch von Kleinigkeiten wie: Einer besonders dünnen Suppe, dem Ausbleiben der Tabakration, oder einem überdurchschnittlich lange dauernden Zahlappell, bei großer Kälte auf dem Lagerplatz wurde die Stimmung negativ beeinflußt. Umgekehrt, nach dem Empfang von Post aus der Heimat, einem Kascha-Nachlag am Geburtstag, einem Banja-Besuch mit dem Empfang von sauberer Wäsche, oder einer neuen Heimkehr-Parole, hin zum Positiven.

Ich möchte aber noch ein paar andere positive Aspekte erwähnen. Zum Beispiel habe ich viele handwerkliche Arbeiten kenngelernt, wie schon erwähnt, als Zimmermann und Bergmann, als Korbflechter, als Schindelmacher, als Glasergehilfe, und wie man auch ohne hochwertige Maschienen eine Menge schaffen kann. Ich habe die Genugsamkeit, die Leidensbereitschaft und Anteilnahme der russisch Menschen an unserem Schicksal kennengelernt.

Noch ein wichtiger Punkt. Ich habe in den 5 Jahren unter meinen Kameraden echte Freunde für das ganze Leben gefunden. Dabei denke ich besonders an meinen viel zu früh verstorbenen Freund - Horst Scheerer aus Hamburg. Wir haben uns, mit 5 Kameraden immer wieder getroffen. Dabei haben wir natürlich auch immer wieder über die gemeinsamen Erlebnisse geredet.

In den ersten Jahren nach der Heimkehr habe ich in vielen Nächten von der Zeit in Russland geträumt. Doch das hat sich im Laufe der vielen Jahre gelegt. Die Zeit heilt eben doch alle Wunden!

Zum Schluß noch ein paar Zeilen über Start in das zivile Leben hier in Norddeutschland. Bei meiner Mutter, Schwester und den Großeltern war die Freude über meine Heimkehr riesengroß. Doch da stand ich nun mit meinen DM.100. - Entlassungsgeld und dem, was ich auf dem Leibe trug. So war der Anfang auch hier nicht leicht. Doch meine Mutter und die Großeltern haben mir sehr geholfen. In meinem Beruf fand ich so schnell keinen Arbeitsplatz, die waren alle von den aus anderen Ländern früher heimgekehrten schon besetzt. Mitte 1950 fand ich in Bremen in einer schonen großen Drogerie, mit über 10 Angestellten, eine Anstellung im Fotoverkauf. Unter den Mitarbeiterinnen habe ich auch meine zukünftige Lebensgefährtin gefunden.

Hans Hoferichter
Bremen

Kategorie: Erinnerungen von Kriegsgefangenen | Hinzugefügt von: Anatoli
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