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Ferdinand Tomasi: Spielgruppe des Kriegsgefangenenlagers 150 Grjasovetz
31.05.2013, 14:58

Die Gefangennahme am 6.10.1944 verlief ziemlich dramatisch. Wir waren zu sechst von der Truppe abgesprengt und liefen direkt in den Spitzenpanzer des Panzeraufmarsches für die Kurlandschlacht. Dies war nahe Kelme(lt.Akt Kelte) im Rayon Schaulen (lt. Akt Schavle) in Litauen. Wir haben zu Dritt überlebt. Von dort ging es nach Schaulen, wo ich leider zu etwa 1200 gefangenen deutschen Soldaten gesprochen habe und sie davon überzeugen wollte, den von den Russen verlangten Aufruf an die deutsche Truppe zur Kapitulation im Kurlandkessel nicht zu unterschreiben. Ich wurde abgesondert und erhielt Besuch vom Stalingrader Oblt. Rensch, mich für Propagandezwecke zu melden, um einer Verurteilung zu entgehen. Da ich ablehnte, wurde ich in Dünaburg 14 Tage in Einzelhaft genommen und dann mit ca 45 Angehörigen der Wlassovarmee nach Sokol transportiert. In Sokol waren wir nur noch ein russischer Oberleutnant und einige Wlassowleute, die anderen wurden auf dem Weg dorthin meist nachts aus dem Zug geholt. Nach meiner Information wurde dieser Obl. Rensch in der DDR der erste General der Grenztruppe. Von Sokol kam ich für einige Wochen nach Tscherepowetz und von dort ins Lager 150. Meiner Erinnerung nach war es vor Weihnachten 1944, lt. Akt am 11.1.1945, vermutlich Datum der ersten Einvernahme. Nach Holzarbeiten für das Lager und dann auf der Sovchose Ploskoje kam ich im Herbst 1945 zur Spielgruppe. Mein Probespiel musste ich zuerst bei Kapitän Klingbeil absolvieren, der ja in seiner Jugend angeblich Musicalclown in einem deutschen Zirkus gewesen ist. Es war für mich schon beeindruckend, dass ich in der Kommandantura im Zimmer eines Russischen Kapitäns sass und Guitarre spielte. Er holte sogar eine zweite Guitarre und versuchte, mich zu begleiten. Von dort wurde ich in das Hauptgebäude geführt jener Bau, der offenbar als Ruine noch steht. Dort war im Keller die Spielgruppe untergebracht. Die Mitglieder waren: Hans Carste, Leo Ertl, Dr. Tölke, Fritzl Poth, Fred Ignor, Kurt Mühlmann, Klaus Schrader und Fred Göhler oder Köhler, sowie der Literat N. Schmid und Alfred Uhlemann. Hans Carste war ein bekannter Filmkomponist der UFA, Leo Ertl war Dirigent und Chef einer Militärmusikkapelle, Fritzl Poth Bratscher im Hannovranisehen Rundfunkstreichquartett, Kurt Mühlmann und A. Uhlemann waren Geiger, Ignor schrieb Stücke, Klaus Schrader war Theaterindentant, Göhler Sänger u. Schauspieler, desgleichen als Sänger Loisl Weinzirl. Aus dieser Kerntruppe entstand das grosse Lagerorchester, das Kpt. Klingbeil mit unerhörter Energie zusammen stellte. Sie wissen ja, wie schwierig in dieser Zeit die Beschaffung von Instrumenten war, aber Klingbeil hat es geschafft. Es kamen bald dazu der Akkordeonist Charli Quade und der Kontrabassist Peters. Carste und Ertl lieferten die Stücke, teils Eigenkompositionen, teils Bearbeitungen aus dem Gedächtnis von bekannten Melodien aber auch Transskriptionen aus Klavierauszügen aus dem Bestand des Theaters in Wologda. Zunächst spielten wir meist mit Mühlmann als Stehgeiger, Poth Bratsche Quade Akkordeon, Peters Kontrabass und ich Guitarre. Schmid u. Ignor lieferten die Texte. Ein sehr grosser Entertainer war Willi Knopp, der auch von Anfang an dabei gewesen ist und ein phänomenales Gedächtnis hatte. So wurden immer wieder neue Programme erstellt und Bühnenstücke, ja sogar Operetten aufgeführt. Carste und Ertl lieferten brauchbare Bearbeitungen. Dr. Tölke, von Beruf Bankdirektor, war sogar in der Lage, zwei Beethoven Streichqartette aus dem Gedächtnis für alle vier Instrumente zu rekonstruieren, die von Mühlmann, Uhlemann, Puth u. Tölke aufgeführt worden sind. Für die abendlichen Aufführungen in den Baracken hatten wir das Trio aus Mühlmann Geige, Poth Bratsche (Viola), ich Guitarre. Wir spielten deutsche und russisehe Unterhaltungsmusik und Volksmusik, aber auch solistisch, ich z.B. das Ständchen aus Don Giovanni, das ja in Original mit der Laute gespielt wird, Holzschuhtanz von Lorzing, Boccerini Menuett u.s.w. Diese Aufmerksamkeit von ca 400 Barackeninsassen, als Beleuchtung Kerosinfunseln, ist mir immer noch in Erinnerung und kann wohl in keinem Konzertsaal mit den besten Interpreten wiederholt werden.

Wir hatten ja das Glück, dass unser russischer Lagerkommandant Oberst Sirma (ich glaube er war Ukrainer) Gesang liebte, eine wunderschöne Bassstimme hatte und einen unerschöpflichen Vorrat an Volksliedern und Melodien kannte. Carste oder Ertl notierten sie nach seinem Vortrag und er war zu Tränen gerührt, wenn wir sie ihm am nächsten Tag wohlgesetzt in Harmonien, vorspielten. Es mag paradox klingen aber dieses eine Jahr als Musiker hat mein Leben sehr bereichert. Wir brauchten ja nicht arbeiten. Damals wurde in der Nähe des Lagers 150 eine Verbindungsstrasse gebaut, an der nach Ende des Krieges bis zum Hauptmann auch Offiziere gearbeitet haben. Bevor ich Mitglied der Spielgruppe wurde habe ich versucht, im Winter mit einem Zwitter, ein riesiges Rindvieh, die Küchenwasserversorgung aufrecht zu halten. Manchmal, wenn er nicht wollte, war ich sechs Stunden für eine Fuhre unterwegs.

Zurück zur Spielgruppe: Retrospektiv gesehen, waren hier durchwegs schöpferisch begabte Menschen beisammen, sodass jeder einzelne von uns bei den russischen Offizieren hohes Ansehen genoss. Von der Bekleidungskammer erhielten wir ein weisses und ein russisches, am Kragen besticktes Hemd, Hose, Sacco und Krawatte, sodass wir sehr ansehnlich ausgesehen haben. Russische Musikgruppen, die fallweise auch in das Lager kamen, hatten es sehr schwer, sich gegen uns zu behaupten und wurde dies von den russischen Bewachungsmannschaften und den Offizieren auch deutlich kund getan. Mag sein, dass Bolkovnig(??) Sirma, unser Lagerkommandant, eine besondere Zuneigung für uns hegte, da immer erzählt wurde, dass unser oberster Lagerdolmetscher, Hauptmann von Neidhart, ein Baltendeutscher, im 1 .Weltkrieg der Kompagniechef von Sirma, damals Feldwebel, gewesen sein sollte. Ich habe es selbst erlebt, dass bei Begegnungen dieser beiden Männer Oberst Sirma Haltung angenommen hat und der Adelige von Neidhart eine Art superiority zeigte. Wir waren in der Spielgruppe abseits vom übrigen Lagerleben und hatten auch mehr Kontakt zur Lagerführung, der deutschen als auch der russischen. Der deutsche Lagerkommandant war Major ? Schu(h)macher, ein Jurist, ich glaube ein Kriegsgerichtsrat, nachmals in der DDR Oberster Anklagevertreter und Stellvertreter der sogenannten "Roten Hilde" eine DDR Justizministerin. Damals lernte ich auch Stalingradkämpfer kennen, die ja massgeblich beteiligt waren an der Gründung des Nationalkommitee "Freies Deutschland" aus dem sich dann, zusammen mit den emigrierten Kommunisten, die DDR entwickelte. An einige Namen erinnere ich mich: Genosse Emmendörfer, Oberst Van Höfen, Obl. Rentsch und Hanemann. Letzterer soll es sogar zum ersten Wirtschaftsminister in der DDR gebracht haben. Das sind allerdinge Gerüchte, für die ich mich nicht verbürgen kann, doch machten diese Leute Kariere nach ihrer Heimkehr und sie hatten Macht, abgeleitet von den Russen. Ob sie dabei glücklich waren, weiss ich nicht.

Meine Zeit als Musiker im Lager 7150 dauerte von ca Nov./Dez. l945 bis kurz vor Weihnachten 1946, als die Spielgruppe noch klein besetzt war. Das Orchester entwickelte sich erst im Laufe des Jahres 1946, dort habe ich Geige gespielt. Da fallt mir ein, dass ich der meist beschäftigte Musiker im Lager gewesen bin, weil alle meine Zeiten, die ich als Guitarrist oder als Geiger auf dem Podium gesessen bin, nach der Norm abgerechnet worden sind. Ich erinnere mich ca im Dez. 1946, vor dem Abtransport nach Leningrad, 4600 Rubel ausbezahlt erhalten zu haben, was damals offenbar viel Geld gewesen ist. Das grosse Geschenk für mich war, eine Art Freiheit, solange ich Musiker gewesen bin. Es gab keinen Zählappell, kein Ein- und Ausrücken zur Arbeit, man war immer in der gut geheizten Stube, auf Besuch kamen nur die bedeutenden Leute im Lager und Oberst Sirma war unser bester Freund, abgesehen von Kapitän Klingbeil. Der war Kommunist aus dem Rheinland/Deutschland, flüchtete nach Russland (angeblich als Folge des Spartakistenaufstandes) und nahm auf Rot-Spanischer Seite am ganzen Spanienfeldzug teil. Aus Dankbarkeit verlieh ihm Russland die Staatsbürgerschaft, was er uns gegenüber oftmals bedauert hat. Als Pensionist durfte er aber nach Dresden heimkehren. Dessen grosser Wunsch war es, nocheinmal als Xylophonsolist auf der Bühne zu stehen. Carste schrieb ihm ein einfaches Solostück für Xylophon und er trat im schwarzen Frack mit uns auf. Ich glaube, es war aus diesem Anlass, dass ein russischer Zuhörer mit der Pistole gegen die Decke des Saales schoss, was einen ziemlichen Tumult hervorgerufen hatte. Ein besonderer Vorzug für uns Musiker war die Betreuung der Aussenkommandos der Lager. Wir gaben dort Konzerte für Russen und Plenies, es gab keinen Feind, nur Menschen, die Freude an der Musik hatten. Die im Distrikt Wologda damals arme, aber zum Teil sehr vornehm wirkende Bevölkerung (vermutlich auch nach der Revolution Verschickte), beschenkte uns mit dem Wenigen, was sie hatten, ein paar Zwiebel, Gurken, Kartoffel, etwas Milch, Scheiben Brot und fallweise sogar ein Ei. Im Winter (wir waren unterwegs, wenn die Schneelage es erlaubte) konnten wir uns manchmal mit Salzheringen revanchieren. Wir haben ja im Lager zum Teil besser gelebt, als die arme Bevölkerung und wäre nicht soviel verschoben worden, wären die Zuwendungen ausreichend gewesen. Im Sommer waren diese Ausflüge im Distrikt herrlich, da wir ja keine Bewachung dabei hatten und dabei sogar die Bahn benutzen durften. Ich erinnere mich, dass sich in meinen Kameraden Puth, der die 2. Guitarre spielte, eine Lehrerin so verliebt hatte, dass sie die Schule zusperrte und einfach mit uns ging. Für Puth war es nicht einfach, weil sie eine Eingabe an Kalinin um eine Heiratserlaubnis gemacht hat. Bei diesen Aussenkommando Betreuungen hatten wir engen Kontakt mit der Bevölkerung. So nahm mich einmal ein Soldat, der mit dem Fahrrad unterwegs war, kurzerhand zu seiner Mutter mit und ich musste ihnen, bei guter Bewirtung, vorspielen. Am Abend brachten sie mich wieder zu den anderen und sie hörten sich das Konzert an.

Obwohl ich aus Tirol zuhause und in den Bergen aufgewachsen bin, habe ich die Landschaft in der Gegend von Wologda sehr genossen, vor allem die gewaltigen Wolkengebilde und die Weite. Nach meiner Heimkehr am 28.11.1947 hatte ich grosse Schwierigkeiten, weil die Leute schon ganz auf den Westen eingestimmt waren und der Russe ein Feindbild war. Mir wurde schwer nachgetragen, weil ich immer wieder betont habe, "hätten uns die Russen von ihren Lebensbedingungen in gleichem Masse Abstriche gemacht, wie wir in Deutschland gegenüber den Russen, wäre keiner von uns lebend nach Hause gekommen."

Das Russische Volk muss eine ungeheure Leidensfähigkeit entwickelt haben. Das war vermutlich auch unser Glück als Kriegsgefangene, weil trotz der Unwirtlichkeit des Landes, der äußerst harten Lebensbedingungen (trotz der bevorzugten Position), den Tücken und Härten des Systems u.s.w. die menschliche Begegnung funktioniert hat und ich dann besonders in Leningrad, deren Bevölkerung so schwer durch den Krieg gelitten hat, zahlreiche Beweise von Menschlichkeit und Erbarmen erfahren habe.

Dr. Ferdinand Tomasi
Weng 38
5203 Koestendorf
Tel./Fax: + 43 62165377


Lebenslauf von Ferdinand Tomasi

Geboren Jänner 1923 in Tirol/Österreich. Volksschule und Hauptschule in Brixlegg und Lienz. Sept. 1938 bis Juni 1942 Lehrerbildungsansalt Innsbruck mit Maturaabschluss.

Juli 1942 bis 29. Nov. 1947 Deutsche Wehrmacht, Leutnant, Fronteinsatz 10. Mai bis 10. Juli 1943 Briansk, Oriol. Nach Verwundung Lazarett in Warschau. Nov. 1943 bis Februar 1944 Kriegsschule Dessau-Rosslau / Pionier, zweiter Fronteinsatz Anfang August 1944 bis 6. Okt. in Litauen, letzte Einheit an Nahtstelle zum Nordabschnitt.

6. Oktober 1944 Gefangennahme im Raum Kelme. Entlassung aus Kriegsgefangenschaft 29. Nov. 1947. Juni 1948 zweite Matura, da erste als Mitglied einer nationalsozialistischen Erziehungsanstalt (NAPOLA) 1946 vom österreichischen Staat für ungültig erklärt worden ist.

Sept. 1948 bis Februar 1954 Lehrer an Volks- und Haupschulen in Innsbruck. Vom Okt. 1951 bis 1.7.1954 Jus-Studium Universität Innsbruck, Abschluss mit Doktorat. Seit Februar 1955 Ausbildung zum Richteramt in Wien, seit 1956 Richter an Bezirks- und Landesgerichten, Ende der Richterlaufbahn als Vorsitzender einer Zivilsenates beim Landesgericht Salzburg am 1. Juli 1983. Seither in Pension.

Mitarbeit in den Führungsgremien der Organisation SOS Kinderdorf in Österreich sowie im Kammerorchester Camerata Academica des Mozarteums Salzburg.

Heirat im Juni 1957 in Wien. Ende 1960 Übersiedlung nach Salzburg. Vier Kinder im Alter von 46, 44, 42 und 35 J. 2 Söhne und 2 Töchter. Die 2 Söhne und die älteste Tochter sind Musiker geworden. Der älteste Solocellist in Innsbruck, der Zweite 1. Konzertmeister in Salzburg, die ältere Tochter Geigerin beim Berliner Philharmonischen Orchester.

Seit Heimkehr aus Russland engen Kontakt mit den Mitgliedern der Spielgruppe im Lager 7150, Dirigent Leo Ertl, Salzburg, Hans Carste in Berlin und den überwiegend in Berlin lebenden anderen Mitgliedern. Es bestanden auch dauernd Kontakte zu den Heimkehrern, die in der DDR lebten, so vor allem auch zu unserem Politbetreuer Kapitän Klingbeil.

Kategorie: Erinnerungen von Kriegsgefangenen | Hinzugefügt von: Anatoli
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